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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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schnöseliger Verwandter mit QQ-Monogramm auf ihren Gepäckstücken unterzubringen, ohne dass sie weiter auffielen. Ich konnte Quirin also unmöglich absagen.
    Selbstverständlich fragte ich zuerst bei Marisa nach. Sie zuckte die Achseln. Sie rechnete nicht damit, dass er sie irgendwie störte. Sie hatte in der Woche viel vor: ein Friseurtermin, Essen mit einer Freundin, ihr allmonatlicher Nachtdienst bei der Telefonseelsorge, ein Empfang in der Kunstgalerie, noch ein Empfang in ihrem Lieblingsschuhgeschäft – so verkauften sie ihr dort Schuhe, bei Martinis und Cocktailhäppchen – und ein ganztägiger Fortbildungskurs, der sich bis in den Abend hinzog und irgendwie mit ihrer Arbeit bei der Telefonseelsorge zusammenhing und aus diesem Grund nicht abzusagen war. Sie wäre kaum zur Ruhe gekommen, da wäre Quirin auch schon wieder verschwunden, oder?
    Sie sagte nicht, dass es ganz schön wäre, mal die Gesellschaft eines jungen Menschen um sich zu haben, wenn sie nach Hause käme. Aber Marisa sagte vieles nicht.
    Wann ich tatsächlich entschied, dass Quirin meiner Frau Marisa ein bisschen Abwechslung und meiner Fantasie reichlich Anregung verschaffen sollte, weiß ich nicht mehr. Vielleicht in dem Moment, als er bei uns einzog. Der Anblick eines flachsblonden Jünglings, der sich aus einem Taxi hebt, eine Umhängetasche aus Leder über die Schulter gehängt, auf der Suche nach einem Unterschlupf, mit dem Wunsch, es allen recht zu machen, so ein Anblick kann einen Mann wie mich schon rühren, ich meine, seiner Frau wegen rühren.
    Die ersten Abende ging er eigene Wege – behauptete, er würde mit Leuten reden, wegen einer Unterkunft –, und darauf ging Marisa für einige Abende eigene Wege. Er musste bereits eine ganze Woche bei uns gewohnt haben, bevor wir das erste Mal gemeinsam zu Tisch saßen. Infolge der Umbauten meines Großvaters, der den Wunsch gehabt hatte, sich zu Hause wie auf See zu fühlen, mussten wir zum Aperitif die Treppe hinaufsteigen, woraus sich Quirin einen Spaß machte, indem er Marisas Arm nahm (sie in einem gegürteten, kurzärmligen Leinenkleid, pflaumenmusfarben), bevor sie die Stufen erklommen.
    Â»Der Captain erwartet uns«, sagte er lachend, und Marisa, die das unmöglich witzig finden konnte, stimmte in das Lachen ein.
    Ich fühlte mich so, wie sich die Jagdmeute vor dem tödlichen Zugriff fühlen musste. Aber auch wie der Fuchs.
    Als wir oben ankamen, tat ich so, als wäre mir plötzlich eingefallen, dass ich bis morgen einen Katalog Korrektur lesen musste. Anstandshalber trank ich ein Glas Rotwein mit den beiden, entschuldigte mich und ging wieder nach unten.
    Die Tür zu meinem Arbeitszimmer ließ ich offen stehen, sodass ich das Auf und Ab ihrer Unterhaltung gerade noch mitbekam, nicht den Sinn ihrer Worte, sondern nur die Musik ihrer Zweisamkeit. Momente der Stille wurden von mir natürlich als Umarmungen gedeutet. Wenn man so gestrickt ist wie ich, gesteht man seinen Mitmenschen nicht den üblichen Vorlauf zu Verfehlungen zu: Sie reden. Sie hören auf zu reden. Sie küssen sich. Für alles, was länger dauert, fehlt einem die Geduld. Ja, warten ist von entscheidender Bedeutung. Aber man hat schon eine Ewigkeit gewartet, um bis an diesen Punkt zu kommen. Jetzt sind die Akteure versammelt, dann also bitte: Action.
    Es gab nur wenige Phasen des Schweigens, mit großen Abständen dazwischen. Wenn sie sich nicht beim Reden küssten, küssten sie sich überhaupt nicht. Ein paar Mal trat ich hinaus in den Flur und lauschte angestrengt. Ich glaube, Quirin erkundigte sich gerade nach Marisas Arbeit bei der Telefonseelsorge, und Marisa, wie üblich, vergab sich nichts. Verschwiegenheit war eine Bedingung ihrer Tätigkeit dort, und die beherrschte Marisa gut. Wenn mich nicht alles täuschte, fragte Quirin sie auch noch, wie viele Menschen sie glaubte während der Zeit ihres Dienstes an den Tod verloren zu haben. Marisas Antwort bekam ich nicht mit, nur Quirins Reaktion: »Mein Gott!«
    Nach ungefähr zwei Stunden ging ich nach oben. Das Gespräch war verstummt. Ich hätte das Zimmer, in dem ich sie allein gelassen hatte, nicht betreten, falls die Tür geschlossen gewesen wäre, aber sie stand offen. Marisa hatte sich zurückgezogen, und Quirin hatte es sich auf einer Chaiselongue bequem gemacht, auf der meine Mutter früher gerne gelegen hatte, und las in

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