Liebesdienst
Genugtuung verspürt und mich wie eine Mutter in den Armen gewiegt, bis ich mich leer geweint hatte. War dieses Lied nicht unserer Ehe geweiht?
Nach dem Lied wurde es im Haus sehr still. Sollte ich nun hineingehen oder nicht? Ich beschloss, einmal den Platz zu umrunden und meinen widerstreitenden Eifersüchten Gelegenheit zu geben, wieder ins Lot zu finden. Als ich zurückkehrte, war ich mir sicher, dass sie sich jetzt in den Armen lagen. Was sonst konnte auf Didos Klage folgen?
Ich schaute zum Fenster hinauf, sah aber kein Anzeichen von den beiden. Das Licht brannte noch, doch nichts, niemand, nicht ein Schatten bewegte sich. Hatten sie den Raum verlassen? Wenn ja, in welches Zimmer hatten sie sich zurückgezogen?
Aus dem Haus drang kein Laut. Ich drehte den Schlüssel im Schloss herum und trat ein. Es war nicht meine Absicht zu lauschen, zu spionieren, nur unter demselben Dach wie sie wollte ich sein. Drinnen war es so still, wie es mir schon von auÃen vorgekommen war. Ich trat leise auf, aber nicht so leise, dass sie meine Rückkehr nicht hätten bemerken müssen. Ich werde euch nicht stören, sollte ihnen mein Schritt sagen, hoffentlich. Ihr braucht euch meinetwegen nicht zurückzuhalten.
Ich ging in mein Büro, lieà mich auf meinem Ledersessel nieder, einem Sessel, der seit Generationen Autorität ausstrahlt. Ich war unsicher, was ich als Nächstes tun sollte. Man kann nie im Voraus absehen, wie man sich in einer Situation wie dieser fühlt. Ich war euphorisch, wie erwartet, aber ich wusste nicht, wohin mit meiner Euphorie. Euphorie hält nicht an, wenn man in einer Stille dasitzt und wartet, die vielleicht etwas bedeutet oder auch nicht. Ausgeschlossensein war die ganze Zeit mein Ziel gewesen, doch jetzt, da ich mein Ziel erreicht hatte, fühlte ich mich von dem angestrebten Ausgeschlossensein ausgeschlossen.
Der Frauennarr und Künstler Pierre Klossowski â von dem ein Foto, seine Narrheit demonstrierend, auf meinem Schreibtisch steht â hat über dieses Thema ein Buch geschrieben, Heute Abend, Roberte . Wegen der erogenen Feinheiten seines Themas ist es wenig bekannt geworden. Wie, fragt sich Klossowski, nimmt man eine Frau in den Arm, wenn man viel lieber möchte, dass ein anderer sie in den Arm nimmt, und man die Absicht verfolgt, diesen anderen in dem Moment zu erblicken, da er einen selbst erblickt? Ein Rätsel, das auch Kandaules und Anselmo quälte: Wie kann man gleichzeitig Akteur und Voyeur sein, Exhibitionist und Inspizient, Ehemann und Liebhaber? »Denn schlieÃlich kann man nicht zugleich nehmen und nicht nehmen«, schreibt Klossowski, »da sein und nicht da sein, in ein Zimmer eintreten, wenn man bereits drin ist.« Oder umgekehrt, einen Raum verlassen, wenn man längst drauÃen ist.
Ein paar Mal wagte ich mich hinaus in die Diele, ohne jedoch etwas zu hören. Alle Lichter brannten, als hätte der Abend gerade erst begonnen, sonst war das Haus zugesperrt für die Nacht und nirgends das leiseste Geräusch. Wie lange ich Wache hielt, auf und ab ging, mal lauschte, mal nicht lauschte â ich weià es nicht; irgendwann muss ich schlieÃlich doch im Sessel eingeschlafen sein, denn ein Schrei und darauf ein dumpfer Laut, als wäre etwas von der Wand gefallen, weckten mich auf, gefolgt von einem neuerlichen durchdringenden Schrei wie aus einer anderen Dimension. Als ich mich von meinem Sessel erhoben hatte, war drauÃen noch mehr Unruhe. Ich lief in die Diele, und am Fuà der Treppe lag Quirin, bewusstlos, wenn nicht sogar tot; oben, im Nachthemd, auÃer sich, stand Marisa.
*
Quirin war nicht tot, er war nicht einmal richtig bewusstlos, wenn man von seinem Weinkonsum absah. Aus einer kleinen Schnittwunde über der Nase tröpfelte Blut. Er stöhnte, als ich mich neben ihn kniete und an der Schulter berührte. »Verdammt«, sagte er, »was ist passiert?«
»Ein verdammtes Wunder«, antwortete ich.
Er schaute sich mit groÃen Augen um, als sähe er den Ort zum ersten Mal. Damit waren wir schon zwei.
Ãber ihm, von Marisa eingeschaltet, fingen tausend Bordlampen wie Sterne an zu funkeln. Mit einem einfältigen Grinsen blickte Quirin zur Decke, als erwartete er dort das Antlitz Gottes, der sein Grinsen erwiderte. »Toller Kronleuchter, Onkel Felix«, sagte er.
»Ich bin nicht dein Onkel«, erwiderte ich.
Marisa rief einen Krankenwagen. »Sag ihm, er soll still liegen
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