Liebesdienste / Roman
Jackson«, sagte Julia, »die Sklaven sind befreit, durchstreifen das Land und kaufen hochriskante Aktien auf asiatischen Märkten.«
Das Komische war, dass sie manchmal wie seine Frau klang. Auch seine Frau war eine streitlustige Frau. »Ich streite nur mit Menschen, die ich mag«, sagte Julia. »Das heißt, dass ich mich bei dir sicher fühle.« Im Allgemeinen stritt Jackson mit Leuten, die er
nicht
mochte. Seine
Ex
frau, erinnerte er sich. Ein weiteres »Ex« in seinem Leben. Sie waren geschieden, sie hatte wieder geheiratet und war mit dem Kind eines anderen Mannes schwanger, dennoch dachte er an sie – mehr in technischem als emotionalem Sinn – als seine Frau. Vielleicht war das der Katholik in ihm.
Und Julia irrte sich. Die Sklaven sahen alle Reality- TV , das neue Opium fürs Volk. Er tat es manchmal selbst, in Frankreich hatte er Breitband via Satellit, und er konnte die Beschränktheit und den Wahnsinn des Lebens der Menschen kaum fassen. Wenn er den Fernseher einschaltete, hatte Jackson bisweilen das Gefühl, dass er in einer schrecklichen Version der Zukunft lebte, für die er sich, soweit er sich erinnerte, nicht angemeldet hatte.
Er kämpfte sich an einer langen Schlange vorbei, die sich an der Tür staute. Die Leute standen an für ein Kabarett. Er betrachtete ein Plakat, das Foto eines Mannes, der ein schwachsinnig komisches Gesicht zog: »Richard Moat – Komisches Viagra für den Kopf« stand darunter. Es brauchte viel, um Jackson zum Lachen zu bringen. Zu meiner Zeit, dachte er, war Kabarett lustig.
Zu meiner Zeit
– das sagten alte Leute, deren Zeit abgelaufen war.
Draußen in dem, was als Tageslicht durchging, erwarteten ihn uralte große Mietskasernen, die sich von beiden Seiten der Straße ausdruckslos anstarrten, so dass man das Gefühl hatte, in einem Tunnel zu stehen, so dass man das Gefühl hatte, es wäre Nacht geworden. Wenn keine Leute unterwegs gewesen wären, hätte man sie mit einer Kulisse für eine Dickens-Verfilmung verwechseln können. Man hätte sie mit der Vergangenheit selbst verwechseln können.
Julia behauptete, es sei ein guter Veranstaltungsort, obwohl sie enttäuscht gewesen waren, dass sie »das Traverse nicht gekriegt« hatten. »Es ist wirklich gut«, beharrte Julia, »zentral, jede Menge Leute.« Sie hatte recht, was die Leute anbelangte, es wimmelte von ihnen, »gruslig« hätte sein Vater gesagt. Jacksons Vater war Bergarbeiter gewesen, ursprünglich aus Fife, und hätte nicht viel übrig gehabt für diese teure, blühende Hauptstadt. Zu chichi. »Chichi« war Julias Ausdruck. Jacksons Wortschatz schien dieser Tage voller Wörter anderer Leute, vor allem voller französischer Wörter, da Frankreich jetzt sein »Wohnort« war, was nicht das Gleiche war wie ein »Zuhause«.
Abgesehen davon, dass er im Urlaub in Ayrshire gezeugt worden war (zumindest laut seinem Vater), war Jackson nie zuvor in Schottland gewesen. Er hatte auch nie darüber nachgedacht, aber jetzt kam es ihm merkwürdig (und psychologisch erhellend) vor, dass er nie zuvor das Land seines Vaters besucht hatte. Als er gestern im Bahnhof Waverly aus dem Zug gestiegen war, hatte er erwartet, dass die fünfzig Prozent seiner Gene, die schottisch waren, ihr Erbe wiedererkannten. Dass er vielleicht eine emotionale Verbindung mit der Vergangenheit, die er nicht kannte, entdecken oder eine Straße entlanggehen würde und die Gesichter kämen ihm bekannt vor, dass er um eine Ecke biegen oder eine Treppe hinaufgehen und eine Art Epiphanie erleben würde, aber tatsächlich kam ihm Edinburgh fremder vor als Paris.
Während er sich einen Weg durch die Menschenmenge bahnte, versuchte er sich in Richtung Burg zu orientieren. Der alte Vogelteil seines Gehirns, der sich normalerweise mühelos zurechtfand, schien seit seiner Ankunft in Edinburgh Urlaub genommen zu haben, wahrscheinlich weil er zum Fußgänger degradiert worden war (»degradiert« war hier das angemessene Wort, weil, seien wir ehrlich, Fußgänger minderwertige Geschöpfe waren). Um die Topografie Edinburghs zu begreifen, hätte sein Gehirn direkt mit dem Kompass eines Lenkrads verbunden sein müssen. Jackson war ein Mann, für den ein Auto eine Erweiterung seines Denkens bedeutete. Nachdem er nach Frankreich gezogen war, hatte er seine alte Liebe, den BMW , aufgegeben und einen brandneuen Mercedes für einhundertfünfzigtausend Euro erworben, der die meiste Zeit in seiner französischen Scheune stand.
Im Augenblick besaß er allerdings
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