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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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keine Polizeisirenen. Zwei junge Polizistinnen, eine hübscher als die andere, stiegen aus, sie wirkten gebieterisch mit ihren fluoreszierenden gelben Westen und schweren Gürteln.
    Der Mann, der die Aktentasche geworfen hatte, saß auf dem Bordstein und sah aus, als würde er gleich in Ohnmacht fallen. Jackson sagte: »Alles in Ordnung? Stecken Sie den Kopf zwischen die Beine.« Der Vorschlag klang nach Akrobatik und irgendwie sexuell aufgeladen, aber der Mann tat es.
    »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Jackson und ging neben ihm in die Hocke. »Wie heißen Sie?«
    Der Mann schüttelte den Kopf, als wüsste er es nicht. Er war weiß wie Milch. »Ich heiße Jackson Brodie«, sagte Jackson. »War früher bei der Polizei.« Plötzlich durchfuhr ihn ein unerwarteter Schauder. Das war es, das war sein ganzes Leben, zusammengefasst in zwei Sätzen:
Ich heiße Jackson Brodie. War früher bei der Polizei.
»Kann ich Ihnen helfen?«
    »Alles in Ordnung«, sagte der Mann unter Mühen. »Entschuldigung. Martin Canning«, fügte er hinzu.
    »Bei mir müssen Sie sich nicht entschuldigen«, sagte Jackson. »Ich bin nicht der Typ, den Sie umgehauen haben.« Das war ein Fehler, der Mann starrte ihn entsetzt an. »Ich habe ihn nicht angegriffen. Ich wollte
ihm
helfen«, sagte er und deutete auf den Peugeot-Fahrer, der noch immer auf der Straße lag und jetzt von Sanitätern versorgt wurde.
    »Ich weiß, ich weiß«, sagte Jackson. »Ich hab’s gesehen. Ich gebe Ihnen meine Handynummer. Rufen Sie mich an, wenn Sie jemanden brauchen, der Ihre Geschichte bestätigt, falls die Polizei oder der Honda-Fahrer Ihnen Ärger machen. Aber das werden sie nicht, keine Sorge.« Jackson schrieb seine Nummer auf die Rückseite des Flyers einer Fringe-Show, den er sich in die Tasche gestopft hatte, und reichte ihn dem Mann. Er stand auf, registrierte dabei ein Knacken in seinen Knien. Er wollte hier weg. Er hielt sich nicht gern an Tatorten auf und sah zu, wie Polizistinnen ermittelten, die nur ein paar Jahre älter waren als seine Tochter, dabei kam er sich alt vor. Er wurde hier nicht gebraucht. Eine unerwartete Sehnsucht nach seinem Polizeiausweis erfüllte ihn.
    Jackson hatte sich das Kennzeichen des Hondas gemerkt, aber er ging, ohne eine Aussage zu machen. Jemand anders hätte sie sich ebenfalls gemerkt, es waren genug Leute da, die als Zeugen infrage kamen, sagte sich Jackson, aber in Wahrheit wollte er das bürokratische Brimborium vermeiden. Wenn er die Ermittlungen nicht leitete, wollte er auch nichts damit zu tun haben. Er war schließlich nur ein unschuldiger Zuschauer.

5
    A rchie und Hamish hatten eine eigene Methode entwickelt. Eigentlich war es Schauspielerei, es war, als würden sie bei einem Film mitmachen. Sie betraten ein Geschäft, getrennt, im Abstand von mehreren Minuten, denn sobald mehr als ein männlicher Jugendlicher in einen Laden kam, verlor jede Verkäuferin den Verstand vor Paranoia (was lächerlich war – denn wie viele tausend Male war er schon mit Hamish in einem Geschäft gewesen,
ohne
eine Straftat zu begehen?). Sie schauten sich eine Weile in verschiedenen Ecken des Ladens um, und dann, außer Sichtweite der Verkäuferin, rief Archie auf dem Handy Hamish an, Hamish meldete sich und drehte dann durch, vor den Augen des Personals. Manchmal wurde er wütend auf den »Anrufer« –
Verdammt noch mal, du verdammtes Schwein, das wirst du verdammt noch mal nicht
tun
 –, etwas in der Art, andere Male fügte er eine tragische Note hinzu: Der »Anrufer« berichtete ihm offenbar von einem schrecklichen Unfall, den ein Familienmitglied erlitten hatte. Irgendetwas, es spielte keine Rolle, solange es die Aufmerksamkeit der Verkäuferinnen fesselte –
Oh, mein Gott, nicht meine kleine Schwester! Oh, bitte, lieber Gott, nein
. Bisweilen trieb Hamish es ein
wenig
zu weit.
    Die ganze Zeit tat Archie so, als würde er sich im Laden umsehen. Die Waren. Tatsächlich aber
stahl
er sie. Ha ha! Damit es funktionierte, musste es ein kleines Geschäft sein – nicht zu viel Personal, keine Alarmanlage an der Tür, die Diebstahlsicherungen und so Zeug aufspürte. Er hatte aus früheren Fehlern gelernt. Wenn Läden keine Alarmanlagen hatten, hieß das natürlich, dass sie normalerweise auch nichts hatten, was sich zu stehlen lohnte (sie klauten nicht um des Klauens willen, das war Scheiße, man stahl, weil man etwas
wollte
). Manchmal ließ Archie sich anrufen und Hamish klaute, aber Archie war ein miserabler Schauspieler, auch

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