Liebesfilmriss
sich bislang noch keine einzige Notiz gemacht hatte. Es war Montagmorgen, und der Vorlesungssaal war überfüllt und sauerstoffarm. Der Professor faselte endlos über Miltons ›Verlorenes Paradies‹. Er hätte auch auf Suaheli reden können. Keine einzige Silbe drang bis in ihr Gehirn durch.
Drei Reihen weiter vorn saßen Davy und Lucy nebeneinander, zwei vorbildlich aufmerksame Studenten, die eifrig mitschrieben. Sie war im Flur an Lucy vorbeigekommen, die ihr einen abschätzigen Blick zugeworfen hatte, bevor sie sich umgedreht und etwas in Davys Ohr geflüstert hatte. Jem hatten sie ostentativ ignoriert und geschnitten.
Jem sagte sich, dass die beiden sich einfach jämmerlich verhielten, wie Zehnjährige, aber tief in ihrer Magengrube hatte sie dieses zermürbende Gefühl, das einfach nicht weggehen wollte. Es wäre nicht so schlimm, wenn Rupert bei ihr wäre, aber das war er nicht. Er war in der Wohnung und schwänzte die Vorlesung, um seinen Kater zu pflegen und sich von seinem Wochenende in Schottland von angeblich epischen Ausmaßen zu erholen.
Sich die Epik dieses Wochenendes vorzustellen, brachte Jem dazu, ihren Kugelschreiber so tief in das Papier zu bohren, dass es riss. Letztendlich hatte es im Hubschrauber von Ollys Onkel doch nicht genug Platz für zwei weitere Passagiere gegeben. Rupert war allein zu der Party von Olly MacIntyre-Brown geflogen und Jem, die praktisch die ganze letzte Woche damit verbracht hatte, jedermann beiläufig zu erzählen, dass sie nach Schottland fliegen und dort in einem Schloss wohnen würde, war gezwungen gewesen, einen entkräftenden Anfall von Lebensmittelvergiftung als Grund vorzuschieben, warum sie doch nicht verreist war. Sie hatte noch nie so viel ferngesehen wie an diesen beiden Tagen.
Die Vorlesung endete, aber der Tag zog sich endlos hin. Um vier traf Jem wieder in der Wohnung ein. Sie öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür, falls Rupert noch im Tiefschlaf lag.
Aber das Bett war leer.
Ebenso der Rest der Wohnung. Ein Hauch von Sorge machte sich in Jem breit, obwohl es natürlich keinen Grund zur Besorgnis gab. Natürlich nicht. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche und rief Rupert auf dem Handy an, wurde aber gleich zur Mobilbox weitergeleitet.
Wo war er? Sie brauchte eine Umarmung, brauchte den Trost seiner Arme, nachdem sie den ganzen Tag geschnitten worden war, brauchte das Wissen, dass jemand auf ihrer Seite stand. Und eine Umarmung von Rupert hätte den ganzen Ärger durch Lucy und Davy mehr als wettgemacht. Oder, wie Rupert die beiden zu nennen pflegte, Hintern und Horror.
Aber er konnte sie nicht umarmen, weil er verdammt noch eins nicht da war. Eisern verdrängte sie ihr aufkeimendes Unwohlsein – Rupert hasste es, wenn man wissen wollte, wo er gewesen war – und nahm die Fachbücher aus ihrem Rucksack. Sie setzte sich auf das Sofa, um ein paar Arbeiten zu erledigen. Aufsätze waren lange überfällig, diverse Korrekturen mussten erledigt werden, die Jahresabschlussprüfungen standen an. Genau, positiv denken, nutze die Zeit sinnvoll. Wenn Rupert nicht vor sechs nach Hause kam, hieß das, dass sie zwei Stunden hatte, in denen sie …
Also gut, sie würde sich erst einen Kaffee machen. Und einen Käsetoast, weil niemand auf leeren Magen Korrekturen durchführen konnte.
In der Küche versuchte es Jem noch einmal auf Ruperts Handy. Immer noch kein Erfolg.
Sie fand hinten im Kühlschrank ein KitKat und aß es, während der Käsetoast warm wurde. Wo blieb Rupert nur?
Wieder im Wohnzimmer blätterte sie ein Buch durch, dann warf sie es zur Seite und sah fern. Nur diese Quizsendung und danach noch ihre Lieblings-Sitcom, dann würde sie sich an die Arbeit machen.
Definitiv.
»… was für ein herrlicher TAAAAG .« Rupert war wieder da, und er sang aus vollem Hals, die Worte begleitet von Luftgitarrenzupfen im Bono-Stil. Er kam ins Schlafzimmer gestürmt, warf sich wie ein umgedrehter Käfer auf das Bett, spielte eine Reihe imaginärer Riffs und brüllte »Taaaaag, Taahaaag … Taaaaag.«
Nur dass es nicht so war. Es war längst Mitternacht. Jem, die nicht geschlafen hatte, war hin und her gerissen zwischen Empörung, dass er sie stundenlang ihrer Angst überlassen hatte, und Erleichterung, dass er endlich zu Hause war. Selbst wenn seine Crash-Landung auf dem Bett ihren linken Knöchel schmerzhaft getroffen hatte.
»Wo bist du gewesen?« Sie setzte sich auf und strich sich die Ponyfransen aus dem Gesicht.
»Ich war aus.«
»Wo?«
»Aha, die
Weitere Kostenlose Bücher