Liebesfilmriss
Kleinigkeiten, wie die samtige Glätte von Kieselsteinen, die zarte Köstlichkeit von Laurens Zitronenkuchen, den unvergleichlichen Anblick der Delphine, die vor Portsilver Point im Meer spielten, den Geruch von heißem Asphalt …
O ja, heißer Asphalt, eines der großartigsten Dinge aller Zeiten. Als Ginny um die Kurve bog, musste sie anhalten. Sie strahlte den Mann mittleren Alters an, der ein Stop-Schild hochhielt, das wie ein riesiger Lutscher aussah.
Hinter ihm waren zwei weitere städtische Bedienstete damit beschäftigt, einen viereckigen Streifen auf der linken Straßenseite zu asphaltieren. Ein Bus und zwei Autos kamen an ihr vorbei.
»Herrlicher Tag«, rief Ginny dem Schilder-Mann zu, der von den vielen Jahren in der Sonne eine lederige Faltenhaut bekommen hatte.
»Eigentlich zu schön, um zu arbeiten.« Er strahlte sie an. Offenbar war er eine heitere Seele. Warum auch nicht, wo er doch den ganzen Tag den Geruch frischen Asphalts genießen durfte? Mit einer schwungvollen Bewegung drehte er das Schild auf die Weiter-Seite und Ginny winkte ihm zu, als sie losfuhr. Sie atmete tief ein, damit ihr auch ja kein Atemzug dieser heißen, asphaltigen Köstlichkeit entging.
Viel zu schnell war der Augenblick vorüber, die Freude vorbei. Ginny schnüffelte, wollte einen letzten Hauch erschnuppern, aber es gab keinen. Sie kam sich verloren vor. Eine halbe Meile weiter hielt sie es keine Sekunde länger aus. Sie fuhr in eine Auffahrt und wendete den Wagen. Es half nichts; man konnte ja auch keine Pralinenschachtel öffnen und dann nur eine einzige Praline naschen, oder? Genau. Und wenn sie zurückfahren und den Duft des Asphalts erneut erleben wollte … tja, warum nicht? Meine Güte, es war ja nicht ungesetzlich. Und noch dazu für umsonst.
Der Schilder-Mann wirkte kurz überrascht, als er sie wiedererkannte. Ginny hatte Glück und sah sich wieder der Stop-Seite gegenüber.
»Sie schon wieder?« Er zwinkerte ihr zu. »Sind Sie jetzt meine Stalkerin? Hören Sie, ich würde mich ja gern mit Ihnen auf einen Drink verabreden, aber meine bessere Hälfte würde Kleinholz aus mir machen.«
Ginny grinste, dann widmete sie sich wieder der ernsten Aufgabe, die Asphaltdüfte einzuatmen, die dieses Mal – wenn das überhaupt möglich war – noch unwiderstehlicher dufteten. Ob man diesen Männern etwas Asphalt
abkaufen
konnte? Würden Sie sie für verrückt halten, wenn sie darum bat? Und wenn sie ablehnten, konnte sie dann zurückkommen, sobald sie Feierabend hatten, beispielsweise heute Nacht im Schutz der Dunkelheit, und ein wenig Asphalt ausgraben, bevor er gänzlich getrocknet war?
Der Schilder-Mann winkte Ginny zum zweiten Mal durch. Sie atmete im Vorbeifahren den süchtigmachenden Duft des Asphalts ein, der auf der anderen Straßenseite wie glänzende, klebrige Marmelade verstrichen wurde.
Wenige Augenblicke später machte es plötzlich Klick und Ginny wurde klar, wann sie zuletzt von diesem Geruch so begeistert gewesen war. Es war so lange her, dass es ihr bis zu diesem Augenblick nicht eingefallen war. Vor dem Bürogebäude, in dem sie damals gearbeitet hatte, waren größere Straßenbauarbeiten durchgeführt worden, und alle hatten ständig über die Lärm- und Geruchsbelästigung gejammert. Aber sie hatte es so sehr geliebt, dass sie in ihrer Mittagspause immer draußen auf einer Mauer saß, den Straßenarbeitern zuschaute und dabei ihre belegten Brote aß.
Nun ja, sie hatte die Brote
gierig verschlungen
, denn das war damals gewesen, als sie …
Als sie …
O nein, das musste ein Irrtum sein …
Irgendwie brachte es Ginny auf Autopilot geschaltet fertig, den Wagen auf dem größten Parkplatz der Stadt abzustellen, wenn auch nicht ganz vorschriftsmäßig. Als sie ausstieg, gaben beinahe ihre Beine unter ihr nach. Jetzt zusammenzubrechen wäre reine Zeitverschwendung und zudem blamabel. Ginny richtete sich entschlossen auf, umklammerte den Griff ihrer Handtasche und ging zu der Ladenfront.
Auf der Schwelle des Drogeriemarktes blieb sie stehen. Die Verkäuferinnen kannten sie hier. Was würden sie denken, wenn sie jetzt sahen, wie sie … nein, sie musste eine andere Möglichkeit finden.
Es gab am St. Aldam Square eine kleine Apotheke, in der sie ihre Besorgung erledigte.
Die öffentliche Toilette war alles andere als ideal, aber nach Hause zu fahren, kam nicht in Frage. Das würde fünfzehn Minuten dauern, und sie musste es
jetzt
wissen. Wenigstens war es eine recht nette öffentliche Toilette,
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