Liebesfilmriss
schrecklich. Eines Tages fuhr Finn zu einer Auktion in Wiltshire. Ich überwachte hier die Innenausstatter im Restaurant, als ein Taxi vorfuhr. Dieser dunkle, italienisch aussehende Kerl stieg aus und ich ging zu ihm, um ihn zu fragen, was er wolle. Er sagte, er sei gekommen, um Tamsin und Mae abzuholen. Und ehe ich mich versah, kam Tamsin mit Taschen und Koffern aus der Wohnung über der Antiquitätenhandlung gelaufen – dort wohnte sie mit Finn und Mae. Sie teilte mir mit, sie würde jetzt ausziehen. Ich konnte es kaum fassen. Sie verstaute all ihre Sachen und Mae im Taxi und gab mir einen Brief für Finn. Mittlerweile zitterte ich am ganzen Leib. Ich sagte: ›Du darfst Mae doch Finn nicht wegnehmen, er ist ihr Vater.‹ Und dieser italienisch aussehende Kerl, der im Übrigen wirklich Italiener war, lachte nur und meinte: ›Nein, ist er nicht. Ich bin Maes Vater.‹ Dann sah er auf seine Uhr und sagte zu Tamsin, sie solle sich beeilen, der Hubschrauber warte und er müsse um drei wieder in London sein.«
Ginny wurde übel. Wie überaus entsetzlich, wenn einem so etwas passierte. »Und stimmte es? War er der Vater?«
»O ja. Finn ließ mich an jenem Abend den Brief lesen. Tamsin hatte diesen Italiener – er hieß Angelo Balboa – in einem Nachtclub getroffen, als Finn geschäftlich unterwegs war. Sie hatten einige Wochen lang eine Affäre, die endete, als Angelo geschäftlich nach Australien musste. Als Tamsin herausfand, dass sie schwanger war, hätte sie eine Münze werfen können, wer von beiden der Vater war. Und als Mae geboren wurde – nun ja, sowohl Finn als auch Angelo haben dunkle Haare und dunkle Augen. Sie wäre damit durchgekommen.«
«Warum hat sie es nicht getan?«
»In den ersten Monaten hat sie es ja.« Evie wirbelte mit ihrem Zeigefinger. »Aber vielleicht gibt Ihnen die Erwähnung des Hubschraubers einen Hinweis? Angelo Balboa ist enorm reich. Seine Familie hat Zillionen im Olivenölgeschäft gemacht. Und Tamsin hatte immer schon eine Neigung für die guten Dinge des Lebens, vor allem für gutaussehende Zillionäre. Finn steht auch nicht schlecht da, aber er spielt lange nicht in derselben Liga wie Angelo. Und ich könnte mir vorstellen, dass das für Tamsin den Ausschlag gab. In dem Brief an Finn teilte sie ihm mit, dass sie einen DNA -Test hatte machen lassen und dass Mae nicht sein Kind war. Natürlich habe sie sich daraufhin verpflichtet gefühlt, Angelo zu schreiben, dass er eine Tochter hatte. Und – bingo! – Angelo eilte mit wehenden Fahnen herbei. Wie es sich für eine moderne Liebesgeschichte gehört, verlangte er weitere DNA -Tests. Aber sobald ihm die Ergebnisse vorlagen, tat er das einzig Ehrenhafte und verkündete, dass Tamsin und Mae von nun an
ihm
gehörten.«
»Was für ein Albtraum. Der arme Finn.« Ginny hätte nie erwartet, Mitleid für ihn zu empfinden. »Was hat er daraufhin getan?«
Evie zuckte mit den Schultern. »Was konnte er tun? Gar nichts. Nun ja, abgesehen davon, seinen Kummer eine Weile zu ertränken. Und die Hochzeit abzusagen. Und sich mit der Erkenntnis abzufinden, dass er doch kein Vater war.«
»Mein Gott. Hat er sie seit damals gesehen?«
»Nein. Sie leben in London bei Angelo.«
»Wann ist das passiert?«
»Im Oktober.«
Oktober. Und Mae war im Juli auf die Welt gekommen. Das bedeutete, dass Finn vier Monate hatte, in denen er mit diesem kleinen Geschöpf eine Verbindung hergestellt hatte, geglaubt hatte, dass sie seine Tochter war, und sie mehr liebte als sein eigenes Leben, bevor sie ihm entrissen worden war, ohne dass er die Chance hatte, sie ein letztes Mal im Arm zu halten und sich von ihr zu verabschieden.
Ginny stellte es sich bildlich vor und spürte, wie sich ein Kloß in ihrem Hals bildete. Sie konnte nicht sprechen. Wie hätte
sie
sich gefühlt, wenn ihr jemand Jem als Baby entrissen hätte?
»Vielleicht hätte ich Ihnen das nicht erzählen sollen?« Evie wirkte besorgt.
»Nein, das war richtig!« Ginny nickte heftig. »Gott, ich bin wieder mit dem Fuß im Fettnapf gelandet. Langsam reicht es wirklich.« Ihr kam ein Gedanke. »Und das war nur wenige Wochen, bevor er mich zum ersten Mal in diesem Laden sah. Kein Wunder, dass er nicht gerade strahlender Laune war.«
»Jetzt wissen Sie, warum Finn Ehrlichkeit und Vertrauen so überaus wichtig sind.« Evie ordnete die Freesien in der Vase vor ihr. »Vermutlich kann man ihm keinen Vorwurf machen. Bis Tamsin ihn verließ, war er immer stolz darauf, wie gut er Menschen einschätzen
Weitere Kostenlose Bücher