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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Sohnes, bei der allerersten Elternversammlung, schlug er vor, jeder Vater solle sein Kind auf einem Blatt Papier zeichnen und dazu fünf Minuten erzählen, wie er sein eigenes Kind sähe. Die Hälfte der Eltern konnte nicht zeichnen und wies diesen Vorschlag empört als Schwachsinn zurück. Die andere Hälfte war von der Idee jedoch begeistert. Sie hatte sich wahrscheinlich in ihren Kirchenvereinen oder bei den Anonymen-Alkoholiker-Treffen auf diese Weise kennengelernt und zeichnete ihre Kinder seitdem immer wieder gerne. Nach dieser ersten Elternversammlung entstanden so etwas wie zwei Elternparteien – die Maleltern und die Eltern, die nicht malen wollten.
    Als der Vater von Birmidschan, der der zweiten Partei angehörte, mitbekam, dass der Vater von Peter nur einen Mindestbetrag auf seinen Sohn gesetzt hatte, lächelte er
und setzte einen Euro pro Runde auf Birmidschan. Der Vater von Miroslav überlegte nicht lange und setzte einen Euro fünfzig auf seinen Sohn. Der Vater von Birmidschan verdoppelte daraufhin seinen Einsatz. Der Vater von Miroslav ging mit. Spätestens ab da wurde der Vater von Peter nervös. Er errötete und setzte vier Euro pro Runde auf seinen Sohn, wahrscheinlich in der Hoffnung, der Junge würde sowieso nur zwei Runden laufen und dann schlappmachen. Peter hatte sich in der Klasse nie durch besondere sportliche Leistungen oder Laufqualitäten hervorgetan.
    Die Kinder bereiteten sich zum Lauf vor, die Väter standen im Laub und schauten angestrengt aneinander vorbei, bis der Startschuss fiel. Danach starrten alle nur noch auf die Laufbahn. Birmidschan schaffte es siebenmal um die Schule herum, der sportliche Miroslav verließ nach zehn Runden die Laufbahn. Nur Peter lief und lief und lief wie der Hase aus dem Werbespot für Akkus, die ewig halten.
    »Mach’s nicht zu doll, Junge!«, rief ihm sein Vater zu, sichtlich besorgt um die Gesundheit des Kindes. Gleichzeitig konnte man seine Verwunderung über die Sportlichkeit und die Bereitschaft seines Sohnes, halb Südamerika finanziell zu sanieren, nicht übersehen. Er hatte Peter als Marathonläufer deutlich unterschätzt. Alle Kinder waren inzwischen mit ihrem Lauf fertig, und der letzte Schüler verließ die Strecke – nur der kleine Peter lief, stolz wie Bolle, weiter.
    »Is gut!«, rief ihm sein Vater beinahe verzweifelt nach, während die anderen Väter höhnisch grinsten. Sie konnten
zwar nicht malen, aber sie konnten rechnen. Sie hatten bemerkt, dass Peter schon mindestens drei Kisten Bier aus dem Familienbudget weggelaufen hatte.
    »Hör auf, Junge, willst du, dass dir die Kniescheiben rausfallen?«, bremste der Vater ihn weiter aus.
    »Ich kann noch mehr!«, schrie Peter zurück und warf einen Siegerblick ins Publikum. Er war bereits dreißig Runden gelaufen und gerade dabei, das bescheidene Gehalt seines Vaters auf die bedürftigen Bildungsstätten Lateinamerikas zu verteilen. Peter sah dabei nicht einmal müde aus. Auf seinem Gesicht stand geschrieben: »Wenn nicht der ganze Kontinent, so konnten doch zumindest die Schulsysteme von Nicaragua und Ecuador fest mit meiner Leistung rechnen.«
    Alle Anwesenden, die mitbekommen hatten, wohin der Hase lief, lachten über diese unmögliche Situation, abgesehen von Peters Vater, der das absolut nicht lustig fand.
    »Hör auf zu rennen, und komm sofort hierher«, zischte er laut.
    »Ein sportlicher Junge!«, klopften ihm andere Väter auf die Schulter.
    »Ja, sehr sportlich!«
    »Wir danken Ihnen für Ihr Engagement«, sagte die Klassenlehrerin zum Vater von Peter, als der endlich nach vierunddreißig Runden zum Stehen kam.
    »Ich habe gar nicht so viel Geld dabei«, entschuldigte sich der Vater in der Hoffnung, die Klassenlehrerin würde sich auch mit der Hälfte zufriedengeben.
    »Sie können es ja überweisen«, meinte diese jedoch – in
einem Ton, der keine Widerrede duldete – und drückte dem Vater von Peter ein Überweisungsformular und einen Kugelschreiber in die Hand.
    »Da kannste schön was zeichnen«, zwinkerte ihm der Vater von Birmidschan im Vorbeigehen zu.
    Ich lachte damals über dieses kindische Verhalten der Eltern. Doch Großeltern benehmen sich oft noch kindischer. Sie halten sich für unglaublich reif und intelligent, alle anderen sind in ihren Augen Kleinkinder. Entsprechend reden sie auch mit ihren Enkeln. Das ist ein Fehler. Das Schlimmste, was man einem jungen Menschen antun kann, ist, mit ihm über die Schule reden zu wollen. »Na, wie geht’s denn so in der

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