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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Tomaten und Knoblauch und machte es sich auf dem inneren Strand der russischen Seele bequem. Nichts fiel uns einfach so vom Himmel zu außer Schnee, und den Sommer haben wir uns stets mit großer Mühe quasi per Hand gemacht. Deswegen waren diese Sommer die heißesten Sommer meines Lebens. Seitdem vertraue ich diesen leichten südländischen Sommern nicht. Alles Mühelose macht einen misstrauisch, alles, was mit Schweiß und Fleiß produziert wird, zieht die Leute dagegen an.
    Auch in Deutschland stimmt diese banale Weisheit. Nehmen wir beispielsweise unseren Bioladen auf der Schönhauser Allee. Dort genießen die Lebensmittel die größte Popularität, die in einem besonders anstrengenden Arbeitsprozess entstanden sind: Joghurts, die in einer brandenburgischen Molkerei von Menschen mit Behinderungen hergestellt werden, und von Invaliden per Hand gedrehte Makkaroni. Mein absoluter Fleißfavorit in diesem Laden ist der Yukatanhonig. Dieser Honig stammt vom nördlichen Teil der Halbinsel. Auf der Honigbüchse steht, dass dieses Produkt überhaupt die einzige Form der landwirtschaftlichen Aktivität in dieser Gegend ist. Wegen der komplizierten Wetterbedingungen blühen dort kaum Blumen, und die Bienen werden ständig vom starken
Wind aufs Meer verweht. An solchen Tagen gehen statt der Bienen die Ureinwohner auf Nektarsuche in den Wald. Mit leichtem Summen laufen sie durch die nördlichen Buschwälder Yukatans, tage-, manchmal sogar wochenlang, und sammeln am eigenen Körper die letzten Tropfen des Nektars unsichtbarer kleiner Blüten. Ein Stamm der Maya-Indianer muss wohl eine Woche lang durch die Büsche rennen, um eine Büchse dieses wunderbaren Honigs vollzubekommen. So etwas essen die Menschen in Europa total gerne. Ich habe schon mehrmals gesehen, wie schnell die Yukatanhonig-Regale leer geräumt waren. Fremder Fleiß macht Faule heiß.

Die Känguru-Wettbewerbe
    Die Idee aus Regierungskreisen, einige Universitäten in Elite-Universitäten umzubenennen, erinnerte mich an meine eigenen sowjetischen Universitäten. Offiziell durfte meine Heimat keine Eliten haben, unsere Politik war auf Gleichheit und Gleichberechtigung aller Bürger ausgerichtet. Doch in diesem allgemeinen Trend der Gleichstellung fanden sich immer einige, die gleichberechtigter sein wollten als die anderen. Jeder Betrieb, jede Parteizelle, selbst ein Kuhstall hatte seine eigenen »Eliten«, die sich vom Fußvolk deutlich abgrenzten.
    Als Elite-Universitäten galten in meiner Heimat die Ausbildungsstätten, die in der hundertseitigen Broschüre mit dem hochphilosophischen Titel »Wohin nach der Schule?« nicht vermerkt waren. Sie wurden trotzdem gefunden. Es galt als sicher, dass die Elite-Jugend ihren Platz an der Sonne auch ohne eine solche Broschüre entdecken und allein durch ihre Intelligenz oder mithilfe ihrer Elite-Eltern den Weg auf den richtigen Campus finden würde. An diesen Universitäten eingeschrieben, mussten sie auch keine Angst haben, in die sowjetische Armee einberufen zu werden. Sie hatten ihre zukünftige Karriere fest im Griff.

    Auf meinen Universitäten klappte das nicht. Die Theaterschule beispielsweise, die ich besuchte, konnte mich trotz guter Noten nicht vor der Einberufung in die Armee schützen. Als die Zeit dafür gekommen war, wurde ich feierlich in Begleitung eines Orchesters mit Pauken und Trompeten in einen Bus gesetzt und in einen Wald gefahren, wo sich der zweite Raketenabwehrring des sogenannten Moskauer Verteidigungskreises befand. Dort beobachteten wir Tag und Nacht angestrengt alle tief fliegenden Ziele. Vor allem interessierten unsere Einheit unsichtbare amerikanische Beobachtungsflugzeuge, die nicht auf dem Radar auftauchten. Diese unsichtbaren amerikanischen Flugzeuge jagten wir zwei Jahre lang, ohne jemals eins gesehen zu haben. Das war uns auch klar, denn sie waren ja, wie gesagt, unsichtbar.
    Heute bin ich mir unsicher, ob es diese Flugzeuge überhaupt gegeben hat. Vielleicht waren sie nur ein Gerücht? Den Raketenabwehrring gab es aber sicher, deswegen musste es eigentlich auch die unsichtbaren Flugzeuge gegeben haben. Von dieser Annahme wird heute meine Flugangst genährt. Jedes Mal, wenn ich nach Russland fliege, fürchte ich, unsere Maschine könnte mit einem solchen unsichtbaren amerikanischen Flugzeug von damals zusammenstoßen oder mit einem aus der neuen Generation, die noch unsichtbarer als die vorherigen sind.
    Meine Universitäten sind mit dem Studieren von Erfundenem und dem Beobachten von

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