Liebesgruesse aus Deutschland
heilig. »Brot ist in jeder Sache der Kopf« lautet ein altes russisches Sprichwort. Ein anderes besagt: »Nur Brot macht reich.« Sogar die Große Oktober-Revolution konnte ohne Brot nicht stattfinden. In der Schule lernten wir, dass Wladimir Iljitsch Lenin während seines Aufenthaltes im zaristischen Knast nur altes Brot und Milch zu Mittag bekam. Anstatt es zu essen und zu trinken, bastelte Wladimir Iljitsch Lenin aus dem Brot einen Tintenhalter, die Milch benutzte er als unsichtbare Tinte. Damit schrieb der Revolutionsführer seine für die Wächter des zaristischen Regimes unsichtbaren Revolutionsanweisungen, die er dann an die Genossen verschickte. Wenn er merkte, dass die Wächter des Regimes in die Nähe seiner Zelle kamen, aß er den Tintenhalter mitsamt Inhalt schnell auf. Wenn Lenin im Knast stattdessen Russisch Brot bekommen hätte, hätte er es bestimmt ohne zu überlegen gleich weggeputzt. Dann wären seine Anweisungen an die Genossen nicht zustande gekommen,
und die Revolution hätte möglicherweise gar nicht stattgefunden.
Lisa kann eine ganze Packung Russisch Brot auf einmal verputzen, ohne irgendeine Anweisung dabei zu geben. Eigentlich dürfte sie es gar nicht essen, aber sie wird immer ganz aufgeregt, wenn sie welches sieht, deswegen bekommt sie immer mal wieder ein paar Buchstaben in den Käfig gelegt. Denn alle lieben Lisa.
Schneechaos in Deutschland
Über den Winter wird in Deutschland bevorzugt in einer speziellen Katastrophensprache berichtet. Wenn ein paar Schneeflöckchen vom Himmel fallen, heißen sie in den Nachrichten sofort »heftige Schneefälle«. Wenn diese Schneeflöckchen ein paar Tage liegen bleiben, werden sie zum »Schneechaos in Deutschland« ernannt, wenn sie sich später auflösen, heißt das »Glatteisgefahr!«. Autos, Züge, Flugzeuge, beinahe alle Transportmittel bleiben stehen, die Menschen laufen durch die Straßen wie besoffene Seiltänzer, rutschen aus, werden dabei mit besonderem Zynismus gefilmt und bilden so den Höhepunkt des abendlichen Fernsehprogramms. Es werden sogar Quizshows ausgestrahlt, bei denen der Zuschauer raten muss, wer von den gezeigten schwankenden Fußgängern demnächst fällt und wer nicht. Die Krankenhäuser sind mit hingefallenen, ausgerutschten Bürgern überfüllt.
Russen können sich aus meiner Sicht etwas besser auf dem Eis bewegen. Das mag ein Klischee sein, aber ein wahres. Vielleicht hat es damit zu tun, dass Russen grundsätzlich mehr vor sich auf die Erde gucken und aufpassen, wo sie hintreten. In Russland sind Fußwege traditionell
ein Schwachpunkt der Landschaft, man kann auf ihnen sogar im Sommer sehr tief fallen. Dazu kommt natürlich, dass die meisten meiner Landsleute seit ihrer Kindheit sehr viel Eiskunstlauf im Fernsehen sehen mussten, es war nämlich das mit am häufigsten gesendete Programm. Meine Mutter schaut sich solche Sendungen auch in Deutschland an, sie hat dafür extra das russische Fernsehen abonniert. Jeden Abend wird in diesen Programmen auf dem Eis getanzt. Ihre Lieblingsprogramme heißen Die Eiszeit und Stars am Stiel oder so ähnlich. Alle Schauspieler, Sänger oder Nachrichtensprecher in Russland müssen ohne Ausnahme gut Eislaufen können und dabei singen, deklamieren oder Nachrichten sprechen. Nach dem Eiskunstlaufschauen ahmt meine Mutter unbewusst die Läufer nach, wenn sie einkaufen geht und selbst auf Eis gerät. Sie bewegt sich immer etwas nach vorne gebückt und kann sich sogar im Gehen um die eigene Achse drehen.
Gleichzeitig mögen die Russen die Kälte nicht. Meine Frau, die auf Sachalin, einem sehr kalten Ort, geboren wurde, kann Schnee überhaupt nicht leiden. Sie nennt ihn »Faschismus der Natur«. Russen hatten schon immer eine große unerfüllte Sehnsucht nach südlichen Temperaturen. Mit der Zeit entwickelten sie eine Art Wunschdenken: Egal wie kalt es tatsächlich draußen war, das Land tat so, als würden alle von einer inneren Sonne erwärmt stets ins Schwitzen geraten. Überall, in allen Behörden oder Fabriketagen, standen Palmen und ewig grüne Kakteen in großen Töpfen. Die unzähligen Eiskioske, Limonade-und Bierautomaten versorgten die heiß gelaufenen Bürger
noch bei minus zwanzig Grad mit Kälte spendenden Getränken und Süßigkeiten. Im allgemeinen Warendefizit waren Sonnenbrillen und leichte Hüte eine Ausnahme, es gab sie überall und bei jedem Wetter zu kaufen. Auch den geliebten Wodka trank man am besten eiskalt, aß dazu ebenso kalte Salzgurken, eingelegte Pilze,
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