Liebesgruesse aus Deutschland
sitzen nicht im Zoo hinter Gittern. Nicole war bestimmt mindestens zwanzigmal in verschiedenen Zoos verschiedener Länder, und in keinem Gehege saßen Cevapcici. Auch Chicken Wings mag meine Tochter, diese dreieckigen scharfen Dinger, die täuschend echt wie Hühnerflügel aussehen. Aber Nicole weiß, niemals würden Hühner mit so viel würziger Marinade auf den Flügeln abheben können.
Ich habe keine Eile, das Kind aufzuklären, schließlich ist es gerade in einem Alter, da es noch wächst und die richtige Ernährung besonders wichtig ist. Ich selbst bestehe schon lange nur aus Mitleid dem Lebendigen gegenüber, denn ich sehe, dass alles lebt. Es lebt und wird entweder
niedergetrampelt oder geschluckt oder getrunken oder zerdrückt oder ignoriert und stirbt dann von allein. Ich weiß nicht, was besser ist. Auch die Cevapcici kriechen in ihrer Freizeit bestimmt über das eine oder andere Feld, aber sie tun es wahrscheinlich nur nachts, damit die Kinder sie nicht sehen. Meinen Erkenntnissen zufolge ist alles Leben miteinander verschmolzen. Man bringt das eine um, indem man das andere rettet. Oder wie die lustigen Russen sagen: Einen Biber gegessen – einen Baum gerettet.
Alle lieben Lisa
Nichts schweißt die Menschen stärker zusammen als die Liebe. Vielleicht noch das Essen, wobei das eine mit dem anderen verbunden ist. Oft nämlich wird die Liebe nicht durch Sex, sondern durch Fütterung erhalten. Aus meiner Kindheit kenne ich das: Wenn ich zu lange draußen spielte, rief meine Mutter: »Komm nach Hause, das Essen wartet!« Sie sagte nicht, deine Mutter wartet oder die Oma oder deine Hausaufgaben. Nein, die Buletten mit Bratkartoffeln warteten ungeduldig, sie schauten auf die Uhr, wann kommt er denn?, sie konnten keine Ruhe finden und wurden langsam kalt.
Nicht anders ist es heute in meiner Familie. Das Bedürfnis, jemandem seine Liebe zu zeigen, bedeutet gleichzeitig, ihn zu füttern, und umgekehrt. Meine Mutter und meine Schwiegermutter lieben uns, sie kochen ununterbrochen für uns, quasi jeden Tag. Wir, ihre Kinder, selbst schon Eltern, lieben unsere Kinder ebenfalls, mögen aber das Kochen nicht, stattdessen kaufen wir unseren Kindern Brezeln und reichen das Essen der Großeltern an sie weiter.
Die Kinder wiederum lieben unseren Kater mit dem
schwer auszusprechenden Namen Fjodor Dostojewski über alles. Sie stellen ihn den Gästen eingedeutscht als Theodor vor, füttern ihn mit Trockenfutter und geben ihm außerdem das streng riechende Zeug aus den kleinen Konservenbüchsen, die extra für Katzen produziert werden.
Der Kater liebt das Meerschweinchen Lisa, das bei uns im Badezimmer in einem Käfig überwintert. Nicht nur er, alle lieben Lisa, nur hat diese Liebe bei unserem Kater außerirdische Dimensionen erreicht. Versteinert wie ein Denkmal verbringt Fjodor Stunden vor der Tür des Badezimmers, und kaum geht die Tür auf, springt er hinein, klebt buchstäblich an dem Käfig, zwinkert mit beiden Augen, schnurrt und grunzt erotisch. Die Liebe unseres Katers zu Lisa ist sehr stark. Nicht einmal Romeo hat seiner Julia so viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der Kater verliert sich völlig in Lisas Anwesenheit, ihm läuft bereits die Spucke aus dem Mund, wenn er das Meerschweinchen nur sieht. Lisa liebt allerdings nur ihre Körner – zumindest lässt sie sich nichts anderes anmerken –, behält stets die Fassung, kehrt dem Kater gelegentlich den Hintern zu und kackt ausdauernd in seine Richtung. Trotzdem verliert der Kater nicht die Hoffnung. Ehrlich gesagt, bin ich skeptisch, was die Zukunft dieser Beziehung angeht. Die Hoffnung des Katers, die Käfigtür würde sich eines Tages plötzlich öffnen, Lisa herauskommen, er sie zärtlich umarmen, zu seiner Schale mit Trockenfutter begleiten, »Alles, was meins ist, ist auch deins« in ihr Meerschweinchenohr miauen und Lisa dann füttern – das ist doch ein völlig
kindischer Traum. Niemals wird Lisa ihren Käfig verlassen. Außerdem steht sie, wie gesagt, auf Körner, nicht auf Katzenfutter.
Noch mehr als Körner liebt Lisa allerdings Russisch Brot, diese leckeren Kakaokekse in Form von Buchstaben, die zusammen mit »russischen Eiern« und »russischem Salat« seit Urzeiten für ein völlig falsches Bild von der russischen Küche im Westen sorgen. Russisch Brot ist eine typische deutsche Erfindung, in Russland gibt es so etwas nicht. Irgendwelche Buchstaben aus Brot zu schneiden, würden die Russen für pervers und abstoßend halten. Brot ist in Russland
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