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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Unsichtbarem zur Ende gegangen. Trotzdem oder gerade deswegen zählte ich mich zur Elite des Landes. In Deutschland ist es hingegen viel
schwieriger für einen jungen Mann, Eingang in die Elite zu finden. Woher soll er wissen, ob er zur Elite gehört, das sagt einem doch keiner! Mit den Elite-Unis kann die Regierung die Eliten endlich festnageln. Es muss bloß noch etwas klarer definiert werden, ab wann man dazugehört – gleich nach dem Betreten der speziellen Uni oder nach der ersten bzw. letzten Prüfung. Und was ist mit denjenigen, die es sich nach vier bis sechs Semestern anders überlegen ? Dürfen sie sich dann als Halb-Elite bezeichnen?
    Weil Deutschland keine normale, sondern eine Leistungsgesellschaft sein möchte und Leistung, ein technischer Begriff, sich am besten in Zahlen ausdrücken lässt, werden bereits in der Schule groß angelegte Mathematik-Wettbewerbe veranstaltet, wodurch jedes Kind eine Nummer, einen Platz in der Gesellschaft zugewiesen bekommt. Mein Sohn Sebastian kam neulich stolz aus seinem Gymnasium nach Hause und meinte, ich solle ihm zum siebenhundertvierunddreißigsten Platz gratulieren, den er bei einem wichtigen Mathe-Wettbewerb gewonnen habe. In diesem sogenannten Känguru-Wettbewerb – einem von vielen – werden wahrscheinlich die zukünftigen Mathe-Eliten ausgesiebt. Ich stotterte etwas über Sebastians Platz. Ich war mir unsicher, ob man ihn als Gewinner oder Verlierer ansehen musste. In meiner Vorstellung lagen die Gewinnerplätze eher im einstelligen Bereich. Natürlich kommt es aber auch darauf an, wie viele Teilnehmer es insgesamt waren. Beim Känguru-Wettbewerb hatten mehrere hunderttausend Schüler mitgemacht, ich glaube so ziemlich alle Schüler, die es in Deutschland gibt. Nun
haben sie alle einen Platz an der Sonne und wissen, wo sie stehen.
    Die Teilnahme am Wettbewerb war natürlich freiwillig, erzählte mir Sebastian, doch nur ein Verrückter hätte darauf verzichtet. Alle Schüler, die mitgemacht hatten, durften danach sofort nach Hause gehen, auch wenn sie auf ihre Zettel gar keine Lösungen geschrieben hatten. Für diejenigen, die sich keinen freien Tag gewünscht und am Känguru-Wettbewerb nicht teilgenommen hatten, gab es eine extra Stunde Sport zusammen mit älteren Gymnasiasten, d.h. sie mussten sich von größeren Kerlen im Zweifelderspiel mit Bällen bewerfen lassen. Für die Mitmacher gab es dagegen Preise, und das nicht nur für die Gewinner. Der Hauptpreis war ein T-Shirt mit einem Känguru drauf, und Sebastian bekam als Siebenhundertvierunddreißigster eine Packung Gummibärchen. Der Wettbewerb wurde von den Schülern selbst finanziert, erklärte mir Sebastian. Jeder Teilnehmer musste zwei Euro für einen Auszeichnungsfonds zahlen. Bei so vielen Teilnehmern rechnete ich mit dickeren Preisen als Gummibärchen, doch wie jeder Wettbewerb hatte bestimmt auch dieser einen Vorstand und eine Prüfungskommission, alles lebendige Menschen, die sich anders als Kängurus nicht nur von trockenen Pflanzen ernährten.
    Es wäre für mich höchst interessant zu verfolgen, wie sich die Schicksale der unterschiedlichen Känguru-Teilnehmer in Zukunft entwickelten: Wo würden die Ersten und wo die Letzten landen? Vor allem aber würde mich interessieren, was mit den wenigen Mutigen geschah, die
ihre Teilnahme am Känguru-Wettbewerb verweigert hatten. Man könnte daraus einen neuen wissenschaftlichen Zweig entwickeln: die sogenannte soziale Kängurulogie, die sich mit der Eliten-Bildung in der Gesellschaft beschäftigt. Ich bin aber zu faul dafür, deswegen konzentriere ich mich lieber auf einen einzigen Gewinner dieses Wettbewerbes – auf den Inhaber des ehrenwerten siebenhundertvierunddreißigsten Platzes.

Ausländer in Deutschland
    Glaubt man dem Nationalatlas der Bundesrepublik, wird die Differenz zwischen dem Staatsvolk und einem großen Teil der Wohnbevölkerung, im Volksmund »Ausländer« genannt, immer größer. Zur Zeit beträgt der Anteil beinahe acht Millionen und vergrößert sich quasi stündlich. Ausländer stellen in Deutschland ein ernstes Problem dar. Sie kommen freiwillig hierher, und viele bleiben ihr ganzes Leben lang. Da kann etwas nicht stimmen, die Einheimischen wittern schlechte Absichten. Denn die Erfahrungen aus der Geschichte zeigen, niemand kommt einfach nach Deutschland, um ein paar Bilder von alten Kirchen und Schlössern zu knipsen – außer japanischen Touristen. Deswegen geht es in fast jeder politischen Debatte um die

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