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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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überzeugen. Es wurde neben den üblichen Papieren ein Video verlangt, auf dem er mit seiner Liebsten im Arm zu sehen ist, außerdem eine Kopie seiner Telefonrechnungen der letzten sechs Monate, um die häufigen Ferngespräche mit der Frau seines Herzens nachzuweisen, sowie gemeinsame Fotos und Briefe mit Liebeserklärungen. Mein Freund erfüllte gewissenhaft jeden Wunsch der deutschen Botschaft in Minsk, aber die Sache mit der Heirat kam trotzdem nicht voran. Die Braut bekam einfach kein Visum. Die Botschaft wartete ab. Sie wollte prüfen, ob bei meinem Freund vielleicht nach einer gewissen Zeit die Lust am Heiraten auf natürliche Weise erlöschen würde. Nach einem Jahr hatte er noch immer die gleiche Absicht, eine Hartnäckigkeit, die eigentlich einen besseren Zweck verdient hätte. Die Botschaft forderte einen frischen schriftlichen Liebesnachweis, der letzte war inzwischen immerhin ein Jahr alt. War der Bittsteller wirklich noch immer verliebt, oder blieb er nur noch aus Trotz bei seiner Absicht?, wollte die deutsche Botschaft in Minsk wissen. Vielleicht wollte die Frau nicht mehr, vielleicht hatte sie oder er jemand anderen kennengelernt, vielleicht wollten beide statt nach Deutschland nach Weißrussland ziehen, vielleicht, vielleicht.
    Mein Freund schrieb fünf Seiten mit der ganzen leidenschaftlichen Geschichte seiner Beziehung voll. Doch
diese Liebesbegründung wurde abgelehnt. Die deutsche Botschaft ist nicht dumm und in Liebesangelegenheiten mehr als erfahren. Sie wusste, dass man Liebeserklärungen nicht auf dem Computer tippte. Herzensangelegenheiten schrieb man per Hand, so war es seit Anbeginn der Zeiten quasi Gesetz. Sonst könnte sich ja jeder seine Liebeserklärung aus dem Internet herunterladen, Tolstoi und Maupassant zusammenmischen oder aus irgendwelchen anrüchigen erotischen Romanen besonders markante Abschnitte herauskopieren, daraus einen unwiderstehlichen Liebesbrief basteln und damit seiner Geliebten und der deutschen Botschaft in Minsk literarisch ins Herz bzw. ins Knie schießen. Ich weiß nicht, wie die weißrussische Frau auf diesen computergetippten Brief reagierte, ich bezweifle, dass sie ihn überhaupt gelesen hat. Aber die deutsche Botschaft in Minsk ließ sich, wie gesagt, nicht täuschen. Sie wusste gleich, echte Liebe drückt sich handgeschrieben aus.
    Als ich diese Geschichte hörte, dachte ich, was für ein Glück eigentlich, wenn man gleich am Anfang seines Familienlebens jemanden wie die deutsche Botschaft in Minsk hatte. Sie handelte gewissenhafter als jede Schwiegermutter, sie war jemand, der keine voreiligen Entscheidungen traf, der immer an die Zukunft dachte, der wusste, dass in einer Beziehung alles von vornherein zusammenpassen musste, damit sie ordentlich ablief und vor allem von Dauer war. Und wer konnte sich besser um deutsche Beziehungen kümmern als die deutsche Botschaft – die Botschaft eines Landes, das schon immer und weltweit
für seine Ordnung berühmt war und ist? Um konsequent zu sein, müsste man alle deutschen Standesämter durch deutsche Botschaften in Minsk ersetzen.

Die Organe
    Links von uns in der Wohnung des Nachbarn schreit das Baby. Es schreit seit einem Jahr, genau genommen seit es geboren wurde. Früher dachte ich, dem Kind würde etwas Wichtiges zum Leben fehlen. Doch inzwischen wissen wir, ihm fehlt nichts, es will bloß schreien. Meine Frau meinte einmal, dieses Kind sei schlecht gelaunt, weil es sich in einem falschen Körper fühle – ein Junge, der als Mädchen auf die Welt kam. Deswegen weine es so bitterlich. So können einem bestimmte Organe das Leben vermiesen.
    Mein Sohn muss sich in »Nawi«, »Naturwissenschaft« auf Hochdeutsch, gerade mit der Konstruktion des Körpers befassen. Sebastian hat die Konstruktion der Geschlechtsorgane als Hausaufgabe fürs Wochenende bekommen. Er lernt laut und auswendig. Inzwischen findet keiner in der Familie diese verfluchten Organe mehr lustig, sie kommen uns samt ihrer ganzen Konstruktion zu den Ohren heraus. Letzte Woche ging alles damit los, dass die Schüler die Organe auf ein Blatt Papier zeichnen sollten.
    »Mach das nicht, Junge«, bat ich meinen Sohn am Telefon, »warte auf mich! Ich helfe dir gerne!«

    Ich mag die bescheuerten Hausaufgaben meiner Kinder nämlich, so etwas gab es an unserer sowjetischen Schule nicht. Wir hatten keine Naturwissenschaft, deswegen versuche ich nun mit Hilfe des Unterrichts meiner Kinder meine Wissenslücken zu schließen. Doch Sebastian hat nicht auf mich

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