Liebesgruesse aus Deutschland
gewartet und alle Organe mit seiner Mama gemalt. Nun muss deren Konstruktion gelernt werden, und die ist kompliziert und unübersichtlich. Laut dem Lehrbuch meines Sohnes gibt es allein bei den Männern vier unterschiedliche Arten von Hoden und einen Sack, einen Hodensack, in dem alle Schätze gelagert werden. Das alles beim Frühstück laut vorzulesen, verdirbt den anderen Familienmitgliedern den Appetit. Allen, außer Onkel Georgij, dem Bruder meiner Schwiegermutter, der zum ersten Mal bei uns zu Gast ist. Er versteht kein Deutsch, insofern geht ihm die naturwissenschaftliche Sache an allen Organen vorbei.
Es hat mich viel Überzeugungskraft gekostet, den Onkel zur Reise nach Deutschland zu bewegen. Die ältere Generation reist ungern. Was habe ich in einem fremden Land verloren?, fragt sie sich, wer bleibt im Laden, und was schenke ich dem Gastgeber, von Herz zu Herz? Es ist nicht leicht, mit guten Geschenken nach Deutschland zu reisen, denn man darf weder Alkoholisches noch Fettes einführen, d.h. man darf schon, aber in mikroskopischen Dosen, ich glaube, ein Liter pro Herz. Der Onkel hat seine Geschenke auf zwei Flaschen reduziert. In der einen Flasche war neunzigprozentiger Spiritus vermischt mit Propolis, einem klebrigen Heilstoff, den der Onkel von seinem
Nachbarn, einem Imker, bekommt. Die Heilwirkung von Propolis ist unbestritten. Es steigert die Widerstandskräfte des Organismus, und alle Krankheiten lösen sich sofort auf. Ich glaube allerdings, das liegt eher am Spiritus. Vor dem Trinken wird das Getränk mit Wasser verdünnt und bekommt dadurch eine blaumilchige Farbe. Die Zunge wird ebenfalls blau, und man fühlt sich plötzlich den Bienen sehr nahe. Gleich nach den ersten hundert Millilitern hätte ich zu summen anfangen können. Die zweite Flasche des Onkels war ein Fünf-Sterne-Cognac aus Dagestan, ein wunderbares Getränk mit Nachwirkung.
Der Onkel war von Beruf Bauingenieur. Als solcher verglich er ständig deutsche mit russischen Landschaften. In Russland versuchten die meisten, so weit wie möglich vom Nachbarn entfernt zu bauen und die Zäune möglichst hoch zu ziehen, damit ihnen niemand auf den Hof schaute. Hier waren die Zäune niedrig, die Häuser eng aneinandergereiht, die Fenster selbst im Erdgeschoss groß, manchmal ohne Gitter und oft sogar ohne Gardinen. Man sah, wie die Bürger vom Licht der Fernsehbildschirme erhellt wurden. Diese Art von Zusammenleben hat dem Onkel, denke ich, gut gefallen. Dafür lachte er über die deutsche Sauna, das betretene Schweigen der Saunabesucher, den Ernst der Gesichter. Alle schwitzten so steif und traurig, als wäre gerade jemand gestorben. Besonders hat sich der Onkel über den Ruheraum aufgeregt. Es ging ihm nicht in den Kopf, dass Menschen in die Sauna gingen, um Ruhe zu suchen. Für den Onkel war die Sauna ein Ort des Feierns und der Geselligkeit. Es musste dort
heiß, laut und lustig sein, das Bier sollte fließen, und Witze sollten erzählt werden. Und wenn schon Schnee draußen lag, dann musste man gleich anschließend in den Schneehaufen springen, anstatt sich eine Handvoll Schnee so vorsichtig auf die Brust zu reiben, als wäre es Antifaltencreme.
»Aber die deutsche Sauna hat auch ihre guten Seiten, dort kann man zum Beispiel unbekannte nackte Frauen anschauen, ohne sie gleich heiraten zu müssen«, urteilte der Onkel philosophisch. Ich schwieg höflich, statt ihn darüber aufzuklären, dass die Deutschen schon in der Schule mit Geschlechtsorganen dermaßen gequält werden, dass sie sich, wenn sie einmal erwachsen sind, gar nicht mehr für sie interessieren. Sie schauen niemals hin.
Gott muss Fußballer lieben
In meiner sowjetischen Schule habe ich meine Hausaufgaben immer in der Pause zwischen den Lehrstunden gemacht, wobei ich kein besonders begabter Schüler war. Die besonders begabten Schüler erledigten bei uns die Hausaufgaben direkt im Unterricht, noch während die Lehrerinnen sie diktierten. Mit gutem Gewissen gingen wir nach der letzten Stunde gleich auf den Hof Fußball spielen. Wir spielten ohne Zeitlimit, ohne Tore und manchmal sogar ohne Ball, alle rannten allen hinterher. Die unfertigen Hausaufgaben nach Hause zu schleppen, galt als schlechter Stil.
Das deutsche Gymnasium meiner Kinder schafft es aber locker, nicht nur die Kinder selbst, sondern auch deren Eltern, deren Großeltern und das ganze Internet täglich mit Hausaufgaben zu füttern. Noch anspruchsvoller ist angeblich der Unterricht selbst, zu dem wir Gott sei
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