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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Verkäuferin weiter. »Jede Schraube, alles per Hand. Und wenn sie fertig sind, messen sie den Porsche noch einmal bis auf den letzten Millimeter aus. Und wenn irgendwo ein Millimeter zu viel oder zu wenig dran ist, schmeißen sie das ganze Auto einfach in die Tonne und bauen ein neues!«
    Ich staunte nicht schlecht über die Großzügigkeit von uns Deutschen.
    »Auch bei der Post ist da die totale Ordnung angesagt«, fuhr die Verkäuferin fort. »Wenn du in Deutschland einen Brief abschickst, muss dein Adressat dem Briefträger auf
einem speziellen Formular unterschreiben, dass er deinen Brief tatsächlich bekommen hat. Der Briefträger darf nicht nach Hause gehen, solange er nicht alle Unterschriften von allen Adressaten eingesammelt hat! Aber das Schärfste an Deutschland ist«, die Verkäuferin machte eine Pause und guckte mich bedeutungsvoll an.
    Ich schluckte.
    »Das Schärfste an Deutschland ist, wie sie mit Ruhestörern umgehen.«
    »Wie ?«, fragte ich interessiert, weil ich ja selbst von Natur aus ein Ruhestörer bin.
    »Wenn jemand in Deutschland in seiner Wohnung zu laut wird, ruft sein Nachbar einfach bei der Polizei an, und dem Ruhestörer wird die Strafe automatisch vom Konto abgebucht.«
    »Oh !«, atmete ich erleichtert auf.
    »Sie haben Blitzer für Fußgänger!«, schrie die Verkäuferin fast. »Wenn du zum falschen Zeitpunkt über die Straße läufst, wirst du geblitzt, und zack, wird dir die Strafe automatisch von deinem Konto abgezogen!«
    Ich versuchte mir während dieses Monologs vorzustellen, was der Frau in Deutschland wohl widerfahren war, konnte mir aber keinen Reim darauf machen. Wahrscheinlich hatte sie einfach ein paar lustige Wochen in Deutschland verbracht, musste für ein paar Eilbriefe unterschreiben, ihre Wohnungsnachbarn riefen bei der Polizei an, sie selbst fuhr sehr schnell mit einem Porsche, und so lange, bis er kaputtging, musste sie mehrmals zu Fuß über die Autobahn laufen.

    »Alle Fahrzeuge in Deutschland werden von einem Satelliten automatisch überwacht. Wenn sie auch nur eine Sekunde lang zu schnell fahren, werden sie automatisch von dem Satelliten ausgebremst«, erzählte die Verkäuferin weiter. Automatisch schien eines ihrer Lieblingsworte zu sein.
    In nachdenklicher Stimmung verließ ich den Laden. Beinahe hätte ich den roten Feuerwehrwagen vergessen, so erstaunt war ich. Deutschland ist schon schön, man weiß es nur einfach nicht. Wäre ich nicht in Moskau in diesen Spielzeugladen gegangen und der chinesische Tacker nicht exakt zur selben Zeit auseinandergebrochen, hätte ich nie erfahren, in was für einem tollen Land ich lebe. Man weiß eigentlich nie zu schätzen, was man hat, und erträumt sich stattdessen immer etwas anderes – was wäre, wenn. Aber das klappt dann nie.

Held werden
    Wir wohnen in einer sportlichen Gegend. Bei gutem Wetter sitzen im Park auf der anderen Seite der Straße Frauen in Sportanzügen und machen Atemgymnastik, Jungs werfen einander kleine Bälle zu, und langsam wie Schildkröten ziehen Jogger unter meinem Balkon vorbei. Die alte olympische Parole »schneller, höher, weiter« passt zu diesen Sportlern nicht. Sie wollen keine Spitzenleistungen erbringen, sondern sich bloß fit halten. Nicht umsonst ist die populärste Sportart in Deutschland nicht Fußball, sondern Yoga – die demokratischste Form der Fitness. Jeder, ob dick, dünn, faul oder geistig behindert, kann Yoga machen. Man braucht keine Geräte, keine Ausrüstung, höchstens eine Yogamatte oder für Fortgeschrittene ein Nagelbrett zum bequemen Sitzen. Doch zur Not kann man Yoga auch auf einer alten Zeitung üben. Wenn man keine Lust hat, allein zu trainieren, geht man zu einer Gruppe. Beinahe in jeder Straße bei uns gibt es ein Yoga-Center, manche mit, manche ohne Guru. Dabei werden besonders »innere Ruhe und Ausgeglichenheit« trainiert. Außerdem verspricht Yoga dem fleißigen Schüler eiserne Kraft, ewige Jugend und ein ausgeglichenes langes Leben in Harmonie
mit sich selbst und der Welt. Die Yogis sind die Helden des Egoismus.
    Neulich sagte mir ein Freund und Nachbar, nachdem er mehrere Stunden im Fitnesscenter verbracht hatte, er wolle damit bloß etwas für seinen Oberkörper tun. Für jemanden, der wie ich in einem ideologischen Staat aufgewachsen ist, hörte sich das merkwürdig an. Bei uns tat man etwas für seine Familie, für Freunde, für die Frau, die man liebte, letzten Endes für Volk und Vaterland. Aber für seinen Oberkörper? An die Stelle der

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