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Liebesgruesse aus Deutschland

Liebesgruesse aus Deutschland

Titel: Liebesgruesse aus Deutschland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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fachkundiges Gartengespräch mit den Koryphäen der Branche bestreiten konnte.
    Meine Frau gab sich tatsächlich Mühe. Sie erzählte unseren Tischnachbarn – alles Gartenfunktionäre von höchstem Rang – ihre Erfahrungen mit dem alten elektrischen Rasenmäher aus der DDR und mit dem neuen Benzinrasenmäher, den wir uns vor Kurzem anschaffen mussten, nachdem der sozialistische Rasenmäher-Bruder auf unserem Rasen Selbstmord beging, indem er über sein eigenes
Stromkabel fuhr und dadurch einen letalen Kurzschuss verursachte. Das Gespräch über die Rasenmäher zündete nicht richtig in der Runde an unserem Tisch. Nur der Baumarktbeauftragte fragte meine Frau interessiert, ob unser neuer Rasenmäher bereits an die aktuellen Abgasbestimmungen für Rasenmäher angepasst sei. Die anderen Tischnachbarn drückten sich und meinten, sie hätten mit Rasenmähern nichts zu tun, sie wären nur für die Erde zuständig.
    »Ich bin zum Beispiel überhaupt nur für Containerpflanzen zuständig«, erklärte die nette Dame rechts von uns.
    »Ich für das Baumarktsortiment«, sagte ein anderer Tischnachbar.
    »Blumenstraußkonfigurationen«, stellte sich ein Dritter vor.
    »Und wer von Ihnen ist für Gurken zuständig?«, erkundigte sich meine Frau völlig unvermittelt. Schweigen kam auf.
    »Was für Gurken?«, fragten die Experten um uns herum.
    »Irgendwer muss doch für Gurken zuständig sein«, meinte meine Frau. »Deutschland hat nämlich ein großes Gurkenproblem. Haben Sie hier schon mal Gurken gekauft ?«, fragte sie.
    Unsere Tischnachbarn taten verlegen, als hätten sie noch nie in ihrem Leben eine deutsche Gurke gesehen, ganz zu schweigen davon, eine oder mehrere gekauft zu haben. Niemand an unserem Tisch schien für Gurken zuständig zu sein.

    »Was stimmt denn mit den Gurken nicht?«, fragte ein Gartenmanager interessiert. Im Konferenzsaal herrschte eine heitere Stimmung. Gerade wurde auf der Bühne der Oscar für das beste Friedhofswaldkonzept des Jahres verliehen. Der Gewinner, ein hagerer älterer Mann, küsste die blonde Moderatorin auf die Wange, hob die Statuette hoch und schrie: »Yahoo!«
    »Was mit den Gurken nicht in Ordnung ist? Sie schmecken einfach scheiße«, erklärte meine Frau. »Es gibt nur eine einzige Gurkensorte in Deutschland: Gurken, die wie Handgranaten aussehen, ohne Geruch, ohne Geschmack, als wären sie nicht in Erde, sondern in der chemischen Lösung eines Gurkenlabors gewachsen. Die Fragen der Zuständigkeiten in der Gartenbranche müssen noch einmal überdacht werden«, forderte meine Frau.
    »Im Kaukasus«, so erzählte sie dann, »ist zum Beispiel jeder Gartenmensch für alles zuständig, seien es Blumen, technische Geräte oder Gemüse. Gurken wachsen dort im Mist, sie werden im Mai gepflanzt und manchmal noch einmal im Juli. Gurken-Handgranaten will im Kaukasus niemand haben. Es sind normale Gurken mit feiner Gänsehaut, klein in der Länge und groß im Geschmack. Die Menschen pflanzen sie nicht aus Not, sondern aus Spaß. Eigentlich bräuchten sie im Kaukasus keine Gurken zu pflanzen. Es gibt von den Bauernhöfen der Umgebung genug davon auf dem Markt, sie werden dort zu Spottpreisen verkauft, eine eigene Gurkenernte lohnt sich daher eigentlich nicht. Die meisten Gurken werden ohnehin für den Winter eingelegt, und wie viele eingelegte Gurken
braucht ein Mensch schon? Sieben Dreilitergläser pro Jahr. Die Leute dort machen es trotzdem. Jedes Jahr pflanzen alle ihre eigenen Gurken, weil sie sich zuständig fühlen für ihre Erde, ihre Blumen, für alles, was aus dieser Erde wächst. Für sie ist ein Garten wie eine Familie – eine Überlebensstrategie, die Solidarität und Verantwortung erfordert, dafür aber den Menschen das Gefühl gibt, nicht bloß als Untermieter auf die Welt gekommen zu sein.«
    Die Tischrunde nickte, aber irgendwie ein bisschen desinteressiert, wie mir schien – sie waren ja auch nicht für Gurken zuständig. Vielleicht dachten sie aber auch insgeheim : Diese Russen, ein richtiges Gurkenvolk.

Der Wald
    Die Wissenschaft hat es längst herausgefunden: Unsere unmittelbare Umgebung diktiert unsere Überlebensstrategien, sie knetet uns und härtet uns ab. Unsere Umwelt prägt uns mehr als unsere Eltern, wir alle sind bloß Versuchskaninchen im Dienste der Anpassungsexperimente von Mutter Natur. Unsere Traditionen, Bräuche, Temperamente, Gefühlslagen und sogar unser Aussehen, mit einem Wort alles, was uns voneinander unterscheidet, entspringt der

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