Liebeskind
Stand, was Hajo Wieland betraf.
Hinterher wirkte Günther Sibelius ausgesprochen entspannt.
„Gut gemacht, Kollegen, Sie sind heute beide ein gutes Stück weitergekommen. Jetzt haben wir endlich genügend Anhaltspunkte, denen wir nachgehen können. Morgen früh und je nachdem, wie fit unser Kollege Weber ist, verteilen wir dann die anstehenden Aufgaben“, schloss Günther Sibelius die Dienstbesprechung für diesen Tag.
Elsa in Maschen, im Sommer 1986.
Elsa hasste es, von ihrer Mutter berührt zu werden, und mittlerweile konnte sie es auch kaum mehr ertragen, dabei zusehen zu müssen, wie Vera andere Menschen berührte. Zum Beispiel Herrn Wegener, den Busfahrer vom MVV. Ständig klebten die beiden aneinander, küssten und streichelten sich, sabberten und alberten miteinander herum. Außerdem war alles noch viel schlimmer geworden, seit Herr Wegener bei Vera einen festen Unterschlupf gefunden hatte. Wenn es wieder einmal zur Sache gehen sollte und sich ihre Mutter mit dem Busfahrer ins Schlafzimmer zurückzog, ging Elsa in die Küche hinunter. So weit von ihnen entfernt wie nur irgend möglich. Doch obwohl Elsa durch ein Stockwerk und zwei geschlossene Türen vom Schlafzimmer ihrer Mutter getrennt war, konnte sie die beiden noch immer hören. Sie presste ihre Hände fest auf beide Ohren, aber es half nicht. Veras Stöhnen drang durch jede Wand hindurch und war so eindringlich, dass es alle anderen Geräusche im Haus übertönte. Manchmal stellte Elsa auch das Radio in der Küche so laut ein, dass sie darüber hinaus keinen anderen Ton mehr wahrnehmen konnte, doch dann hatte sie wiederum Angst, den Zeitpunkt zu verpassen, an dem es schließlich zu Ende sein würde. Das kündigte sich meist durch Veras Lachen und durch das tiefe Brummen des Busfahrers an. Sie atmete auf, wenn oben endlich die Schlafzimmertür geöffnet wurde und die Tür zum Bad zuklappte. Elsa hörte, wie anschließend die Klospülung betätigt wurde, sie horchte auf das Rauschen des Wassers in der Dusche, auf den eingeschalteten Föhn und wenig später auf Veras und des Busfahrers Schritte auf der Treppe. Elsa sah dann in erhitzte Gesichter und bemerkte ein entspanntes Lächeln auf dem Gesicht ihrer Mutter.
„Habt ihr schon gegessen, Kinder?“, fragte Vera danach meist gut gelaunt und war sogar bereit, etwas Leckeres für sie zu kochen.
In solchen Momenten wünschte sich Elsa inständig ihren Vater zurück, denn als Friedrich noch mit ihnen zusammengelebt hatte, waren im Elternschlafzimmer niemals Geräusche wie diese zu hören gewesen.
Anna freute sich sehr auf den bevorstehenden Abend, sie überlegte sogar, ob sie zum Essen wieder einmal eine ihrer alten Weihnachtsplatten auflegen sollte. Als sie nach Hause kam, traf sie im Flur auf ihren Sohn Ben, der sich gerade umständlich seine Hausschuhe anzog und dabei grinsend und aus geweiteten Pupillen zu Anna aufsah. In einer Hand hielt er eine Tafel Schokolade mit ganzen Haselnüssen, von der er abbiss, als wäre es ein Stück Brot.
„Hi, Mam, warst du Verbrecher jagen?“
Wütend warf Anna ihre Tasche auf den Fliesenboden des Flurs.
„Du bist ja schon wieder bekifft, Ben! Nicht einmal eine Woche hast du dich an dein Versprechen, damit aufhören zu wollen, gehalten. Hast du das Gras dieses Mal auch wieder von Florian bekommen?“
Obwohl sich Ben alle Mühe gab, ernst zu bleiben, verzog sich sein Gesicht erneut zu einem dümmlichen Grinsen.
„Tut mir wirklich leid, Mam, aber es kommt bestimmt nicht wieder vor. Ich habe vorhin nach dem Basketball noch ein paar Typen getroffen, und da konnte ich schlecht nein sagen.“
„Du wirst lernen müssen, nicht alles mitzumachen, nur weil irgendwelche anderen Leute dir irgendetwas vorschlagen, Ben. Ich bin wirklich enttäuscht von dir.“
Anna nahm ihm die Schokolade aus der Hand.
„Jetzt geh schlafen und vergiss nicht, dir die Zähne zu putzen. Morgen, wenn du wieder klar denken kannst, reden wir dann über die Konsequenzen, die dein heutiger Auftritt noch haben wird.“
Ben schlich sich kleinlaut in sein Zimmer hinauf, während Anna zu ihrem Mann Tom ins Wohnzimmer ging, wo dieser vor dem Fernseher saß. Als er Anna bemerkte, schaltete er den Ton des Gerätes aus.
„Dass ihr euch auch immer streiten müsst.“
„Jetzt reicht es mir aber, Tom! Hast du denn überhaupt nicht mitbekommen, dass Ben schon wieder gekifft hat?“
„Nein, ich bin auch erst seit ein paar Minuten zu Hause und ...“
„Und hast zuerst einmal die Glotze
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