Liebeskind
Arbeitsstelle befand. Denn selbst wenn es unbestreitbar eine gute Idee von ihr gewesen war, sich für den Rest des Tages aufzuteilen, so hatte Sigrid Markisch doch stets bei allem, was sie sagte, einen Kommandoton an sich.
Von ihrem Auto aus rief Anna über Handy in der Kreissparkasse an und ließ sich zu Hajo Wieland durchstellen. Wenig später wartete sie im Schalterraum der Bank auf ihn.
Hajo Wieland hatte einen außergewöhnlichen Gang für einen Mann. Er setzte seine Schritte fast wie ein Tänzer im klassischen Ballett, als er durch den Geschäftsraum auf Anna zukam. Zuerst stellte er die Fersen auf, dann rollte er konzentriert ab. Das Ganze wirkte wie in einem orthopädischen Lehrfilm über richtiges Gehen und wirkte dennoch nicht geziert oder gewatschelt. Der Banker war groß, hielt sich im Gegensatz zu Weber aber sehr gerade. Sollte er so auch auf seinem Motorrad sitzen, würde dieseinen putzigen Anblick abgeben, stellte sich Anna gerade vor. Hajo Wieland war wegen des Eindrucks, den er bei ihrer ersten Begegnung hinterlassen hatte, kein bisschen verlegen. Immerhin war er ihnen fast nackt, nur mit einem kleinen Handtuch um die Hüften geschlungen, gegenübergetreten.
„Frau Greve, nicht wahr?“ Er gab Anna die Hand. „Kommen Sie bitte hier entlang.“
Bevor sie sich ihm gegenübersetzte, nahm Anna noch das eingerahmte Foto von Hajo Wielands Schreibtisch in die Hand, das eine brünette Frau und zwei Kinder am Strand irgendeines mediterranen Ortes zeigte.
„Ihre Familie?“
Wieland nickte.
Annas anschließende Frage zu Hajo Wielands beruflicher Position war schnell geklärt. Er habe Prokura, gab er an, vermittle auch schon einmal das eine oder andere Börsengeschäft, sei ansonsten aber vor allem mit administrativen Aufgaben beschäftigt. Hajo Wieland war seit zwölf Jahren verheiratet und hatte zwei Kinder im Alter von acht und zehn Jahren. Zusammen mit seiner Familie lebte er in einem Neubaugebiet, ganz in der Nähe von Marianne und Torsten Lorenz.
„Weiß Ihre Frau eigentlich von ihren ungewöhnlichen Beratungsgesprächen nach Büroschluss bei den Lorenzens?“
Statt einer Antwort erhob sich Hajo Wieland, öffnete seine Bürotür und wies seine Sekretärin an, während des folgenden Gesprächs jedwede Störung von ihm fernzuhalten.
„Karin wird bestimmt nicht begeistert sein, wenn sie davon erfährt“, murmelte er schließlich. „Es wäre schön, wenn Sie meine Frau aus dieser Angelegenheit raushalten könnten.“
„Seit wann besteht ihr Verhältnis zu Marianne Lorenz?“, fragte Anna unbeirrt weiter.
„Es ist beim Scheunenfest im August letzten Jahres passiert. Marianne war so unglücklich, weil Torsten wieder einmal das große Wort geführt hat, anstatt sich auch ein wenig um seine Frau zu kümmern. Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt zu schätzen wusste, was er an Marianne hat.
„Und Ihre Frau?“
„Karin ist eine gute Mutter, aber zwischen uns steht es schon seit Längerem nicht mehr zum Besten. Marianne und ich haben uns zwar stets um Diskretion bemüht, doch hier auf dem Dorf ticken die Uhren leider anders. Hier lebt jeder unter der Kontrolle seiner Nachbarn und Bekannten, weshalb ich nur hoffen kann, dass Karin nach wie vor nichts von meiner Beziehung zu Marianne weiß. Manchmal wünschte ich mir, in der Stadt wohnen zu können. Die Anonymität dort hat auch ihre Vorteile.“
„Kommen wir nun wieder auf ihre beruflichen Arbeitsfelder zurück“, entgegnete Anna ungerührt. „Ist es richtig, dass Sie für einen Ihrer Kunden, Herrn Dirk Adomeit, Warentermingeschäfte getätigt haben?“
Hajo Wieland nickte.
„Ja, aber leider konnte niemand voraussehen, dass es wenig später zu einem weltweiten Börsencrash kommen würde, in dessen Verlauf so ziemlich jeder Anleger sein Geld verloren hat.“
Hajo Wieland sah die Kommissarin aufmerksam an.
„Wenn es Ihnen recht ist, würde ich jetzt gern wieder an meine Arbeit zurückgehen“, sagte er. „In ein paar Minuten habe ich bereits einen weiteren Gesprächstermin.“
„Eine letzte Frage noch, Herr Wieland, und danach werde ich Sie nicht länger stören. Sie sind im BergischenLand aufgewachsen, später jedoch mit ihrer Familie in den Landkreis Harburg gezogen.“
„Genau“, bestätigte Hajo Wieland und blickte ungeduldig auf seine Armbanduhr.
„Sie sollen in Ihrer Jugend großes Interesse an Musik gehabt und auch ein Instrument gespielt haben. Welches denn?“
„Ich habe mich eine Zeit lang am Schlagzeug
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