Liebeskind
mehr sein, aber immerhin verhalf ihm Elsa dazu, seine Prinzessin endlich einmal so sehen zu können, wie sie wirklich war. Doreen hatte Elsa nie das Wasser reichen können, denn Elsa war stark und ihrer Kinderfreundin von jeher auf allen Ebenen überlegen gewesen. Auch körperlich, nur deshalb hatte sie es sich leisten können, ihr Spiel zu Ende zu spielen, und der Prinzessin vorhin für einen Moment sogar die Fesseln gelöst. Doreen hatte noch einmal Hoffnung schöpfen sollen, bevor es für sie endgültig ans Sterben ging. Elsa grinste böse und trat ein zweites Mal fest gegen Doreens leblosen Körper. Als Elsa anschließend ihre Sachen in den Rucksack einpackte, rieb sie sich die schmerzende Beule am Kopf. Das kleine Miststück hatte doch tatsächlich versucht, sich zu wehren. Elsa zog ein Messer hervor, dann wischte sie den restlichen Schnee von Doreens rechter Wange. Vielleicht wäre dem Tischler der Anblick, den er nun zu sehen bekäme, erspart geblieben, hätte die Prinzessin in letzter Sekunde nicht noch so ein Theater veranstaltet.
Elsa in Maschen, im Winter 1986.
Elsa lebte nur noch für die Musik. Und vor allem für ihre heimlichen Treffen mit Torsten. Seit Wochen lag Elsa ihrer Mutter damit in den Ohren, dass sie unbedingt Gesangsunterricht nehmen wolle. Doch gestern hatte Vera Elsas Bitte endgültig abgeschmettert.
„Für einen solchen Firlefanz haben wir nun wirklich kein Geld übrig. Wie kommst du überhaupt auf diese Idee, schließlich habe ich dich noch nie singen hören.“ Darüber hinaus hatte Vera ihr auch noch verboten, sich um einen Nebenjob zu kümmern.
„Dafür sind deine Leistungen in der Schule viel zu schlecht, Elsa. Außerdem, wer wollte dich schon als Babysitter im Haus haben? Wenn ich nur daran denke, wie gemein und grob du immer mit deiner Schwester umgehst. Nein, vergiss diesen ganzen Quatsch! Kümmere dich nächstes Halbjahr lieber darum, dass du nicht sitzen bleibst.“
Als Elsa an diesem Nachmittag auf ihr Fahrrad stieg, war sie noch immer wütend auf ihre Mutter. Endlich hatte sie etwas gefunden, das ihr wirklich Spaß machte, da ließ Vera ihre Träume mit ein paar Worten auch schon wieder platzen.
„Wenn du wirklich singen willst, gibt es auch einen Weg, Elsa“, versuchte Torsten sie zu trösten. „Hier, nimm das Mikro, wir versuchen es einfach. Du kennst den Song, und Noten brauchen wir eh nicht dafür.“
Elsa hatte gerade angefangen, die Melodie mitzusummen, als die Tür des Partykellers aufgerissen wurde und Rainer, gefolgt von einem weiteren, ihr fremden Jungen, hereingestürmt kam.
„Das ist Hajo, ich kenne ihn vom Schlagzeugunterricht. Er hat ein paar ziemlich starke Songs geschrieben, die wir gut für unsere Band gebrauchen können.“
Rainer warf seine Sporttasche auf die Couch in der Ecke, nahm sich eine Cola aus dem Kühlschrank und bemerkte erst in diesem Moment Elsas Anwesenheit. Rainer sah Torsten misstrauisch an.
„Was läuft denn hier, Alter? Was soll die fette Kuh in unseren heiligen Hallen? Machst du jetzt etwa einen auf beschützende Werkstätten?“
„Ach was, die Kleine ist vorhin zufällig hier vorbeigekommen. Aber Elsa singt wirklich nicht schlecht.“
„Ja, ja.“ Rainer setzte sich mit einem breiten Grinsen ans Schlagzeug, während Hajo einige Notenblätter aus seiner Tasche hervorholte, die er Rainer hinüberreichte. „Jetzt lass uns mal richtig loslegen. Das Training ist ausgefallen, daher habe ich jede Menge Zeit. Wenn sie unbedingt will, kann sie bleiben; mich stört das nicht. Doch sie soll gefälligst den Mund halten.“
Torsten nickte und brachte Elsa zur Tür.
„Tut mir leid, Rainer wird sich bestimmt schon noch an dich gewöhnen. Komm morgen wieder, ja?“
An diesem Samstagmorgen waren Tom und Anna früh aufgestanden, um die lange Liste ihrer Besorgungen für das bevorstehende Weihnachtsfest in Angriff zu nehmen. Ben wünschte sich ein Skateboard, außerdem ein paar neue Klamotten im Hip-Hop-Stil, was nichts anderes hieß, als dass die Kleidung mindestens drei Nummern zu groß ausfallen musste. Ihr jüngerer Sohn Paul hatte dagegen zum Glück noch keine festen Vorstellungen davon, wie er angezogen sein wollte. Für ihn hatten Anna und Tom einen neuen Tennisschläger auf ihrer Liste notiert, dazu Inliner und eine dunkelblaue Jeans. Normalerweise fuhren Anna und Tom zum Einkaufen immer nach Hamburg, auch um nach getaner Arbeit noch einen Spaziergang an der Alster machen zu können. Heute jedoch hatten sie sich für das
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