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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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Sigrid Markisch war ins Nachdenken gekommen, denn der Mord an Doreen Rost hatte ihre Theorie bezüglich Dirk Adomeits endgültig ins Wanken gebracht.

    Es war bereits weit nach 22.00 Uhr an diesem Samstagabend, als Anna endlich müde die Tür ihres Hauses aufschloss. Tom saß im Wohnzimmer und hörte Musik, von ihren beiden Jungen fehlte dagegen jede Spur. Jetzt erinnerte sie sich wieder daran, dass Paul diese Nacht bei seiner Großmutter verbrachte.
    „Tut mir leid, Tom, aber ich konnte beim besten Willen nicht früher zu Hause sein. Wo steckt denn Ben?“
    „Er ist in seinem Zimmer und mault, weil er nicht auf die Party bei den Klaasens gehen darf. Ich glaube, Sebastian ist auch noch oben bei ihm.“
    „Hat er dir seine Mathe- und Physiksachen gezeigt?“
    „Ja, ich habe vorhin einen kurzen Blick darauf geworfen, ich kümmere mich morgen darum.“
    Anna ging in die Küche hinüber, brühte sich einen Tee auf und nahm, während die Blätter im heißen Wasser der Kanne zogen, eines der beiden Schulhefte ihres Sohnes zur Hand. Im Deutschunterricht behandelten sie das Thema „Kurzgeschichte“, und Anna bemühte sich zu entziffern, was Ben mit seiner unleserlichen Handschrift dazu zu Papier gebracht hatte. Immerhin hatte er, wie das heutige Datum oben am Rand der Heftseite zeigte, überhaupt etwas geschrieben. In seinem Englischheft waren ebenfalls zwei Seiten unter dem heutigen Datum beschrieben worden. Anna holte das Teesieb aus der Kanne, die sie anschließend aufs Stövchen stellte, nahm beide Schulhefte in die Hand und ging zu Ben hinauf.
    „Respekt, mein Lieber“, begann sie. „Wenn du so weitermachst, können wir darüber nachdenken, deine ,Ausgangssperre‘ in absehbarer Zeit wieder zu lockern.“
    „Wie wäre es zum Beispiel mit heute, liebe Mam?“, fragte Ben in schmeichelndem Ton.

    „Tut mir leid, Ben, aber ganz so schnell geht es dann doch wieder nicht.“
    Als sie wenig später zusammen mit Tom im Bett lag, verging kaum mehr als eine Minute, und Anna war erschöpft eingeschlafen.
    Elsa in Maschen, im Frühling 1987.
    Jetzt waren die Osterferien zum Greifen nah, und heute in der Schule hatte Elsa mitbekommen, wie sich die Clique um Torsten und Rainer für den ersten Ferientag zu einer „Butterfahrt“ verabredet hatte. Schon oft war die Gruppe vom ZOB aus zusammen zu solchen Ausflügen aufgebrochen. Mit dem Reisebus ging es vom Hamburger Busbahnhof bis nach Travemünde, von dort dann weiter mit einem Schiff auf die Ostsee hinaus. Diese Ausflugsfahrten wurden vor allem von Rentnern unternommen, von Menschen, die auch während der Woche genügend Zeit für ein stundenlang andauerndes, günstiges Vergnügen hatten. Zu gern wäre Elsa auch einmal mitgefahren, doch bisher hatte sie noch niemand gebeten, mitzukommen. Fast konnte Elsa die anderen jetzt leibhaftig vor sich sehen, wie sie rauchend und mit einer Flasche Kirschlikör in der Hand an Deck standen und über ihre wunderbaren Pläne für die Zukunft plauderten. Doch ihre Freundschaft zu Torsten war noch immer ihrer beider Geheimnis, und Elsa traute sich nicht, daran etwas zu ändern. Schließlich gab es in der Clique genügend Mitglieder, die sie nicht leiden konnten. Vor allem jedoch traute sich Elsa nicht, den anderen, besonders Rainer, von Torsten und sich zu erzählen, weil sie Angst davor hatte, dass er sie dann wieder verleugnen würde. Genauso wie an jenem Nachmittag, an dem Rainer und der andere Junge sie zusammen im Partykeller überrascht hatten.
    Umso erstaunter war Elsa, als Rainer an diesem Sonntagmittag vor ihrer Haustür stand.

    „Ich würde es klasse finden, wenn du morgen dabei bist, Elsa. Dann können wir auch endlich mal in Ruhe über die Band quatschen.“
    Am nächsten Morgen war Elsa sehr früh von zu Hause aufgebrochen und wartete nun am ZOB auf die anderen. Noch war eine halbe Stunde Zeit, bis der Reisebus nach Travemünde abfahren würde. Die ersten Rentner hatten bereits die für sie angenehmsten Plätze vorn im Bus besetzt, aber im hinteren Teil waren zum Glück noch einige Reihen frei. Elsa legte ihre Tasche auf die letzte Bank, steckte sich eine Zigarette an und sah sich nach den anderen um. Als der Bus startete, war allerdings noch immer keiner von ihnen erschienen, also fuhr sie erst einmal allein nach Travemünde, denn sie hoffte, die Clique am dortigen Bootsanleger zu treffen. Zwei Stunden später stand Elsa an Deck des Schiffes und beobachtete zwei alte Frauen dabei, wie diese einen Schwarm gefräßiger

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