Liebeskind
Möwen mit ihren Butterbroten fütterten. Überhaupt gab es an Bord niemanden in ihrem Alter. Elsa kam sich unter all diesen Witwen verloren vor. Sie hatte sich eine Flasche Kirschlikör gekauft, nun stand sie wieder an Deck und nahm einen großen Schluck. Die beiden Alten von vorhin musterten Elsa missbilligend. Wäre jetzt Torsten neben ihr gewesen, bestimmt wäre Elsa eine passende Reaktion für die vertrockneten Weiber eingefallen. So aber fühlte sich Elsa nur allein und kam sich mit ihrer Flasche Likör in der Hand auch ein bisschen lächerlich vor. Es machte eben keinen Spaß, etwas Verbotenes zu tun, wenn niemand aus der Clique dabei war. Ob Torsten von Rainers verlogener Einladung wusste? Hatte er sie vielleicht sogar mit Rainer zusammen geplant? Wollte auch er Elsa loswerden, obwohl sie beide doch so vieles miteinander verband?
Endlich schien Elsa ihr Ziel erreicht zu haben, doch freuen konnte sie sich noch immer nicht darüber. Und sie war auchkein bisschen erleichtert, dass ihre Mission mit der Bestrafung der Verräterin nun zu Ende war. In der vergangenen Nacht war sie wieder einmal durch ihren Albtraum geweckt worden. Durch immer die gleichen, sie seit damals ständig verfolgenden Bilder. Erneut hatte sie Torsten und Rainer vor sich gesehen, hatte Doreen lachen hören und in all die anderen grinsenden Mitläufergesichter schauen müssen, die damals einfach zugesehen und sich über ihr Unglück amüsiert hatten. Auch wenn die drei Verräter mittlerweile ihre gerechte Strafe bekommen hatten, so fehlte doch immer noch das Entscheidende. Es fehlte der grundlegende Ansatz, den Elsa weder bei Robin noch bei ihrer Mutter gefunden hatte. Was fehlte, war die Entwirrung ihres Lebensknäuels, ein Neubeginn, eine Perspektive, dachte Elsa. Irgendetwas, das es ihr ermöglichte, von nun an ihren Frieden mit der Vergangenheit zu machen. Sie wollte endlich einen Menschen finden, der genauso besonders war wie sie selbst. Elsa sehnte sich nach einer Freundin, denn sie hatte schon lange den Glauben daran verloren, dass es zwischen ihr und einem Mann wirkliche Freundschaft geben konnte. Sollte sie also definitiv von hier fortfahren, ohne Kontakt zu der Frau herzustellen, die ihr seit Tagen nicht mehr aus dem Kopf ging?
Elsa schaltete ihren Laptop ein und gab Paulas Namen in die Suchmaschine ein. Tatsächlich, Paula hieß noch immer Antonis mit Nachnamen und hatte sich daher vermutlich auch noch keinen Kerl gesucht, der sie ernährte. Paula Antonis, was für ein klassisch schöner Name das war. Da hatte sie natürlich nicht zu einer Frau Meyer werden können, selbst wenn sie mittlerweile mit einem Herrn Meyer verbandelt sein sollte. Paula war das einzige Kind ihrer Eltern gewesen, einfach undenkbar, diesen klangvollenNamen einfach so aussterben zu lassen. Elsa fand einige Einträge, in denen es vor allem um Keramik ging. Auch einige Ausstellungseröffnungen waren darunter; Kunsthandwerk, ja, das passte zu Paula. Der letzte Eintrag war allerdings mehr als ein Jahr alt. War sie mittlerweile also doch fortgezogen? Um sich Gewissheit zu verschaffen, loggte sich Elsa auf Paulas Homepage ein. Wenig später sah sie in ein strahlendes Frauengesicht, umrahmt von einer blonden, wilden Mähne. Äußerlich hatte sich Paula kaum verändert, auch ihre Adresse war nach wie vor dieselbe. Sie lebte noch immer in ihrem früheren Elternhaus. Elsa legte sich auf ihr Bett und begann erneut, in ihren Tagträumen zu versinken. Natürlich barg es ein gewisses Risiko, weiter in der Gegend zu bleiben. Andererseits, wozu sollten all ihre Rettungsversuche gut gewesen sein, wenn nicht für einen neuen Anfang?
Paula Antonis saß in ihrer Küche, einen großen Becher Kaffee neben sich, und las in der Morgenzeitung. Das brennende Holz im Ofen knisterte und erfüllte den Raum mit angenehmer Wärme. Paula zog ihren Bademantel aus und warf ihn über die Stuhllehne. Dann legte sie die Zeitung zusammen, für heute hatte sie genug von Katastrophenmeldungen, sentimentalen Vorweihnachtsanekdoten und Sexanzeigen; diesen sie oftmals anwidernden Mix von sogenannten Informationen. Paula schaltete den Fernseher ein. Eine Reporterin stand mit einem von wehenden weißen Fransen überzogenen Mikrofon auf einem unbefestigten Weg, jetzt schwenkte die Kamera zu einer mit rotweißen Plastikstreifen abgeriegelten Stelle. „Maschen-Horst“ war unten in das Bild eingeblendet. Paula drehte den Ton lauter. Schon wieder war jemand getötet worden, diesmal eineFrau. Paula
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