Liebeskind
verstorben war. Zudem gab es in dieser Zeit auch noch einen ganz schlimmen Vorfall mit einem Mädchen, das anschließend sogar die Schule gewechselt hat.“
Anna atmete tief ein und fragte: „Was genau ist ihr denn passiert? Erinnern Sie sich möglicherweise noch an den Namen der Schülerin?“
„Bedaure, wir sind der Sache damals zwar sehr sorgfältig nachgegangen, haben letztendlich aber trotzdem nie herausbekommen, was geschehen ist. Aber mit diesem Mädchen hat es sowieso öfters Probleme gegeben. Sie tat sich sehr schwer damit, ihren Platz in der Klassengemeinschaft zu finden und sich einzufügen. Ich glaube, sie ist ein Scheidungskind gewesen, eine bedauerliche Geschichte. Ich muss zugeben, dass ich sie nicht besonders gern mochte. Auch hatte Elsa so eine bestimmende Art an sich, sie wollte ihren Mitschülern immer vorschreiben, was sie zu tun hatten. Ganz anders dagegen ihr kleiner Bruder Robin. Was seine Schwester an Durchsetzungswillen zu viel besaß, hat dem Jungen vollständig gefehlt. Hinzu kam noch, dass Elsa sehr unsportlich war, was sie nicht gerade beliebter in der Klasse machte. Kein Wunder, schließlich trug sie etliche Kilo zu viel mit sich herum. Dabei hatte sie einen so schönenNamen, einen Namen, der eigentlich überhaupt nicht zu ihr gepasst hat …“
Anna steckte sich eine Zigarette an und wartete geduldig, bis Dr. Grütter den Faden von sich aus wieder aufnahm. Vielleicht würde er sich nicht mehr an den Rest der Geschichte erinnern, wenn sie ihn jetzt aus seinen Gedanken riss.
„… Elsa Hollstein hat sie geheißen. Dabei kommt einem doch das Meer in den Sinn. Und dazu ein Mädchen von der Küste; blond, attraktiv, ein natürliches Gesicht, ein freundliches Wesen. In Elsas Fall lag man mit dieser Assoziation allerdings komplett daneben.“
„Sagen Sie, Herr Dr. Grütter, ist es möglich, dass Sie noch im Besitz von Fotos aus dieser Zeit sind?“
„Nein, es tut mir leid, Frau Kommissarin. Ich habe damals, als ich nach Spanien umgezogen bin, allen unnötigen Ballast weggeworfen.“
Als Anna den Hörer aufgelegt hatte, informierte sie Weber sofort über ihr Gespräch mit Dr. Grütter. Anschließend machten sie sich an die Recherchen zu Elsa und Robin Hollstein.
Unter dem Namen Elsa Hollstein gab es in ganz Hamburg nur einen Eintrag, und hierbei handelte es sich um eine Frau in den Siebzigern.
„Wir werden also bundesweit nach ihr suchen müssen, Weber. Wie sieht es denn mit „Robin“ aus?“
„Der hier könnte passen“, entgegnete Weber. „Ein Mann Anfang dreißig, wohnhaft in der Lippmannstraße 14. Ich habe bereits versucht, ihn zu erreichen, aber er scheint nicht zu Hause zu sein.“
„Die Adresse liegt doch irgendwo in Richtung Schanzenviertel,oder? Kommen Sie, Weber, lassen Sie uns unser Glück versuchen und einen kleinen Abstecher dorthin machen.“
Mittlerweile war Robin Hollstein von seiner Fahrt nach Maschen zurückgekehrt und kochte sich einen starken Kaffee. Anschließend erkundigte er sich bei der Auskunft nach der Telefonnummer des Frankfurter Unternehmens, in dem seine Schwester Elsa beschäftigt war. Robin starrte auf die Zahlenfolge und überlegte, was er nun damit tun sollte. In Gedanken hob er den Becher an, um einen Schluck Kaffee zu trinken, und verbrühte sich dabei prompt die Zunge. Robin hustete und spuckte die viel zu heiße Flüssigkeit auf den Teppich. Anschließend aber wusste er genau, was er zu tun hatte. Er nahm sich nicht einmal mehr die Zeit, den Kaffeefleck vom Boden zu entfernen, sondern griff sofort zum Telefonhörer.
„Robin Hollstein hier, ich hätte gern meine Schwester Elsa Hollstein gesprochen. Sie arbeitet als Lebensmittelchemikerin in Ihrem Forschungslabor.“
„Moment, ich verbinde Sie mit der Personalabteilung.“
Wenig später hatte Robin erfahren, wie es sich in Wahrheit mit Elsa verhielt. Seine Schwester hatte sich vor mehr als zwei Wochen unbezahlten Urlaub genommen, der jedoch in fünf Tagen zu Ende ging. Danach standen allerdings auch schon die Weihnachtsfeiertage vor der Tür.
„Aber am Montag nach dem Fest wird Frau Hollstein wieder zurück sein“, hatte die zuständige Mitarbeiterin des Betriebes erklärt.
Seit mehr als zwei Wochen war Elsa also unterwegs, das hieß, dass sie sich durchaus seit Längerem hier in der Gegend hatte herumtreiben können, ohne dass Robin etwas davonmitbekommen hatte. Dann aber wären all ihre angeblichen Vorhaben, wie zum Beispiel, sich in Hamburg einen neuen Job suchen zu wollen,
Weitere Kostenlose Bücher