Liebeskind
aber darüber hinaus war er auch noch verstümmelt, seine Würde als Mensch in den Dreck getreten worden. Ein Anblick, den Anna Greve seinen Eltern gern erspart hätte.
Weber begleitete die beiden auf ihrem Weg in die Rechtsmedizin, während sich Anna in die Laborberichte vertiefte, die Antonia Schenkenberg in der Zwischenzeit hereingebracht hatte. Wer immer Rainer Herolds Mörder gewesen war, er musste sehr umsichtig vorgegangen sein, denn es gab keine Spuren. Nicht einmal ein Schuhabdruck des Täters war in dem aufgeweichten Rasen am Fundort zu sichern gewesen.
Als Weber zurückkam, machten sie sich zum zweiten Mal auf den Weg nach Maschen und in die Straße, in der auch der „Maschener Hof“ lag. Die Kollegen von der Schutzpolizei, die nach dem Mord die Befragung der Nachbarn in der Umgebung des Gasthauses übernommen hatten, gaben ihnen die Adresse eines möglichen Zeugen durch.
Anna und Weber klingelten. Ein weißhaariger Mann schaute sie misstrauisch an, bis Weber seinen Dienstausweis aus der Jackentasche hervorholte.
„LKA Hamburg. Herr Kogel?“
Der Alte nickte, nahm eine stramme Haltung an.
Dreißig Minuten nachdem er das Wirtshaus an besagtem Abend verlassen habe, sei er dort noch einmal vorbeigekommen, um wie immer, kurz vor dem Schlafengehen, seinen Dackel auszuführen.
„Da ist sie mir aufgefallen.“
„Dieselbe Frau, die sich zuvor in dem Lokal mit Rainer Herold unterhalten hat?“
„Ja, ich habe selten so schönes Haar gesehen. Sie hat vor einem Auto gestanden und geweint.“
„Ist die Frau allein gewesen?“
„Ja, und sie hat so traurig ausgesehen. Da bin ich über die Straße, wollte fragen, ob sie Hilfe braucht. Als sie mich bemerkte, ist sie jedoch eingestiegen und ziemlich schnell davongefahren.“
„Können Sie den Wagen beschreiben?“
„Dunkel ist er gewesen, irgendein Kleinwagen. Welche Marke, kann ich nicht sagen.“
Anna Greve hakte nach. „Haben Sie sich vielleicht das Kennzeichen merken können?“
„Tut mir leid.“ Wieder schaute er sie mit diesem unterwürfigen Blick an. „Wenn ich gewusst hätte, wie wichtig das für die Polizei ist, hätte ich bestimmt genauer hingesehen. Aber ich glaube, der erste Buchstabe ist kein W gewesen, die kam nicht aus dem Landkreis.“
Die beiden Kommissare bedankten sich, und als sie anschließend wieder zum LKA nach Hamburg zurückfuhren, schaltete Weber das Radio ein und trommelte den Takt des Liedes auf dem Lenkrad mit. Er sah zufrieden aus, so als wären sie gerade einen großen Schritt vorangekommen.
„Langsam mache ich mir Sorgen um Angela“, murmelte Anna.
Weber stellte die Musik leiser.
„Was?“
„Weber, wir sollten die Presse einschalten. Wenn diese Frau wirklich am Tatort gewesen und nicht unsere Mörderin ist, weiß sie vielleicht nicht einmal, in welcher Gefahr sie sich möglicherweise befindet.“
Im Büro zurück, verfassten sie umgehend den Text, der am kommenden Tag in vielen Zeitungen und Rundfunkstationen veröffentlicht werden sollte.
Elsa würde sich eine andere Bleibe suchen müssen. Hier, in dieser Gegend, in die sich kaum ein Tourist verirrte, würde sie auffallen, wenn sie noch einen weiteren Tag blieb. Außerdem musste sie nach Frankfurt zurück. Dort wollte sie zu ihrem Chef gehen und ihn um Urlaub bitten, aber vielleicht würde es auch ausreichen, wenn sie ihn anrief. Er kannte sie als gewissenhafte Mitarbeiterin, Elsa musste nur noch eine glaubwürdige Geschichte erfinden. Eine alte Tante vielleicht, um die es sich zu kümmern galt, oder ein Todesfall in der Verwandtschaft. Ihre Augen leuchteten bei diesem Gedanken, ganz sicher würde ihr ein passendes Schicksal für eines ihrer Familienmitglieder einfallen.
Der erste Schritt war getan. In der Nacht nach Rainers wohlverdientem Ende hatte sie das erste Mal seit damals wieder ruhig und fest geschlafen. Die bösen Träume waren weit fort gewesen, fast schienen sie aus einem anderen Leben zu kommen. Ihr Weg lag jetzt klar und weit vor ihr.
Elsa an einem Nachmittag in Maschen, im April 1982.
„Warum lachen die anderen über mich?“
„Ach, Kind.“ Die Mutter lachte jetzt auch, während sie versuchte, Elsa in den Arm zu nehmen. Das Mädchen wand sich aus ihrer Umklammerung und stellte sich vor sie hin.
„Dass du auch immer so zappeln musst.“ Veras Stimme war eine Spur härter geworden. „Da musste der Storch ja abrutschen.“
Das Kind griff sich mit der Hand ins Gesicht, seine Augen funkelten zornig. „Aber ich hab das doch gar
Weitere Kostenlose Bücher