Liebeskind
Elsa. War es das, was nicht sein durfte?
Anna und Weber waren mit Dr. Severin in der Rechtmedizin verabredet. Er war, trotz seiner Profession, stets gut gelaunt, auch wenn es Zyniker in den Reihen des LKA gab, die behaupteten, diese spezifische Heiterkeit käme überhaupt erst durch Dr. Severins Beruf zustande.
„Der Mann ist durch die Durchtrennung der Halsschlagader getötet worden. Er muss schnell verblutet sein.“
„Und die Gesichtsverletzung?“
„Ist ihm post mortem beigebracht worden. Noch etwas, der Körper weist keinerlei Abwehrverletzungen auf. Entweder ist das Opfer von seinem Mörder überrascht worden, oder es hat ihn gekannt und deshalb so nah an sich herangelassen.“
„Sie meinen also, der Täter hatte es speziell auf Rainer Herold abgesehen?“
„Ich glaube schon, denn ansonsten hätten wir Schnittverletzungen an seinen Händen und Armen finden müssen. Er hätte sich mit Sicherheit gegen einen unbekannten Angreifer gewehrt.“
Dr. Severin lachte leise vor sich hin. „Aber das sind nur Spekulationen von mir, ich bin schließlich nicht für das Einfangen von Mördern zuständig. Das ist Ihre Aufgabe, und ich muss sagen, ich möchte nicht mit Ihnen tauschen.“
Nachdem die Tür zur Rechtsmedizin wieder hinter ihnen ins Schloss gefallen war, holte Anna ihre zerknüllte Tüte mit den Salbeibonbons hervor und hielt sie Weber hin.
„Und ich nicht mit ihm.“
Als Anna Greve an diesem Abend den Wagen in ihre Einfahrt lenkte, hatte sie Mühe, an dem großen Haufen Holz vorbeizukommen, der ziemlich chaotisch in ihren Vorgarten abgekippt worden war. Bestimmt waren es mehrereKubikmeter, Nadelholz das meiste, in Stücken zu einem Meter Länge geschnitten. Sie würden viel Arbeit haben, bis sie aus diesem Berg einigermaßen verwertbares Feuerholz gesägt haben würden.
„Was ist denn hier los?“, fragte sie Tom, der aus dem Dunkel heraus auf sie zutrat.
„Menzel hat es vor einer Stunde abgeladen. Er meinte, wir sollten uns schon einmal einen Vorrat anlegen, bevor die neue Heizung kommt. Außerdem muss es erst noch trocknen.“
„Ziemlich eifrig, unser Nachbar“, entgegnete Anna. „Hat er auch gesagt, was er dafür haben will?“
„Die erste Fuhre hier ist für dreißig Euro, hat Menzel gesagt. Er meinte, wir können sie ihm zusammen mit der nächsten Lieferung zahlen.“
Das war nicht sehr teuer, doch für fertig gehacktes Holz hätte Anna gern noch etwas mehr Geld draufgelegt.
„Jetzt wissen wir immerhin, womit wir uns am Wochenende beschäftigen können“, meinte Tom, während er mit Anna zusammen ins Haus ging.
Mit seinen großen Händen umfasste er einen ihrer Oberarme und drückte auf ihrem Bizeps herum. So lange, bis sie aufschrie.
„Hier muss sich aber noch einiges tun, wenn du als Holzfällerin durchs Leben kommen willst. Übrigens, ich habe mit Jan gesprochen. Er möchte uns bald besuchen kommen.“
Tom wirkte entspannt und gelöst, in seiner Stimme schwang keinerlei Vorwurf mit. Nichts deutete darauf hin, dass er Anna ihre kurze, aber heftige Affäre mit seinem zehn Jahre jüngeren Bruder Jan im vergangenen Sommer noch immer nicht verziehen hatte, obwohl als Folge viele unbewältigteProbleme und verletzte Gefühle zwischen Anna und Tom zurückgeblieben waren. Die hatten sie zwar mittlerweile Stück für Stück durch eine Paartherapie in den Griff bekommen. Dennoch schien es Anna noch zu früh für eine Konfrontation mit ihrem Schwager zu sein. Was würde geschehen, wenn sie Jan wiedersah?
Jan Greve war Fußballprofi und hatte sich im vergangenen Sommer dazu entschieden, den Hamburger Erstligaverein HFC zu verlassen, um für die Tottenham Hotspurs in London Fußball zu spielen. Bisher hatte es Anna erfolgreich zu vermeiden gewusst, mit Jan über die Beweggründe für seinen plötzlichen Wechsel zu sprechen. Zu groß war ihre Angst, sich sonst möglicherweise von Neuem in eine Affäre mit ihm zu verstricken, die ihr und ihrer Familie schaden würde.
„Sag ihm liebe Grüße.“ Anna gab ihrem Mann Tom einen zärtlichen Kuss und zog ihn weiter den Flur entlang. „Komm, lass uns nach oben gehen.“
In dieser Nacht erwachte Elsa von ihrem eigenen Schrei. Sie sah auf den Reisewecker, es war gerade erst einmal vier Uhr morgens. Das Nachthemd klebte an Elsas Körper. Benommen ging sie ins Badezimmer, in der Hoffnung, sich dort zusammen mit ihrem Schweiß auch die Erinnerung abwaschen zu können. Unzählige Male hatte sie diesen schrecklichen Traum schon gehabt, seit
Weitere Kostenlose Bücher