Liebeskind
und Anna gemeinsam in ihrer Küche, jeder von ihnen in einen Teil der Kreiszeitung vertieft. Tom hatte wie immer zuerst die Sportseiten für sich reklamiert und Anna den Rest überlassen. – „Wer ist das Ungeheuer von Maschen?“ – Die roten Großbuchstaben auf der ersten Seite brannten sich in Annas Augen. Sie blätterte um und las den zu dieser Schlagzeile gehörigen Bericht. Der Inhaber einer Näherei war unter ungeklärten Umständen in seiner Fabrikhalle im Gewerbegebiet von Maschen zu Tode gekommen. Er war von einem schweren Regal erschlagen aufgefunden worden. Wahrscheinlich ein Unglücksfall, dachte Anna. Warum wurde dann aber von Mord gesprochen? Die Kommissarin las weiter und erhielt nur wenige Zeilen weiter Antwort auf ihre Frage. Der Redakteur des Artikels benutzte im folgenden Absatz Worte wie „ungeheuerlich“ und „verabscheuungswürdig“, um das Geschehene zu beschreiben, denn der Geschäftsmann aus Maschen war außerdem auch noch Opfer einer Kastration geworden. „Es gibt keinerlei Zweifel, dass es sich dabei um ein Gewaltverbrechen handelt“, resümierte der Journalist. „Hoffen wir, dass unsere Polizei alles tun wird, um den Täter so schnell wie möglich zu fassen.“
Anna faltete die Zeitung zusammen und überlegte. Eine Tat wie diese war tatsächlich keine alltägliche und setzte zudem eine große Wut voraus. Der Geschäftsmann aus Maschen musste sich jemand zum erklärten Feind gemacht haben. Zu einem Feind, dem es nicht gereicht hatte, sein Opfer einfach nur zu töten, sondern der ihm darüber hinaus auch seine Würde hatte nehmen wollen. Indiesem Punkt weist die Geschichte eine Ähnlichkeit zum Mordfall Herold auf, dachte Anna. Doch zum Glück lagen die Fundorte der Opfer nicht nur in unterschiedlichen Gegenden, sondern sogar in zwei verschiedenen Bundesländern. Ansonsten hätte man, angesichts der grausamen Verstümmelungen der beiden Opfer, als Ermittlerin schon auf die Idee kommen können, hierin eine Parallele zu sehen oder vielleicht sogar einen Zusammenhang zu vermuten. Wie auch immer, der Mordfall an dem Geschäftsmann in Maschen fiel in den Zuständigkeitsbereich des LKA Hannover. Anna legte die Beine hoch und seufzte. Sie war froh, nicht auch noch für dieses Verbrechen zuständig zu sein.
Entspannt wandte sie sich ihrem Mann zu, der gerade eine Flasche Rotwein geöffnet hatte und ihr nun ein Glas herüberreichte. Dabei streifte sein Arm ihr Gesicht und verharrte in dieser Berührung länger als nötig. Durch seinen Blick, der sie nun traf, fühlte sich Anna endlich in den Arm genommen. Sie stand auf und setzte sich auf seinen Schoß. Sofort schmiegte sich Tom an ihre Schulter.
„Ich kann nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen, Anna.“ Seine Stimme klang traurig. „Diese Sache mit Jan tut noch immer sehr weh.“
Anna nahm seinen Kopf in ihre Hände und wiegte ihn sanft hin und her.
„Wir haben gewusst, dass es nicht leicht werden würde, aber ich liebe dich, Tom.“
Tom küsste Anna, und es war fast wie das erste Mal. Oder vielmehr so, als hätten sie sich für lange Zeit verloren und wären einander gerade erst wieder begegnet. In seinem Blick lag noch immer Trauer, und als sie anschließend miteinander schliefen, taten sie es scheu.
Später lag sie in Toms Armen und genoss seine wunderbare Wärme.
„Ich liebe dich, Anna, doch es ist noch lange nicht vorbei. Woher nimmt Jan nur den Mut, so zu tun, als ob das, was war, heute nichts mehr bedeutet?“
Anna nahm seine Hand und drückte sie fest an ihr Herz.
„Wir sind das Team, vergiss das nicht.“
Das Telefon klingelte, aber sie nahmen den Hörer nicht ab. Beide wollten sie unbedingt an diesem Augenblick und aneinander festhalten. Wieder klingelte es, aber worum es auch immer gehen mochte, es würde bis zum nächsten Morgen warten müssen.
Anna Greve kam gerade ins Büro herein, als ihr Telefon zu klingeln begann. Sie nickte Weber und Bertram zu, dann nahm sie den Hörer ab.
„Hast du gestern Zeitung gelesen?“ Paulas Stimme klang aufgeregt.
„Hab ich getan, aber guten Morgen, erstmal.“
„Ja, ja. Du, ich kenne den Typen aus der Fabrik. Bearbeitest du den Fall?“
„Nein, das macht das LKA in Hannover.“
„Ich würde mich an deiner Stelle mal mit denen in Verbindung setzen. Rainer Herold und Torsten Lorenz haben einander gut gekannt, die waren früher wie Pech und Schwefel. Sollte mich nicht wundern, wenn derselbe Kerl die beiden auf dem Gewissen hat.“
In der nachfolgenden
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