Liebeskind
in ihrem Hotelzimmer platziert. Mit der Kerze gleich daneben sah er jetzt fast aus wie ein Altar. Den hölzernen Kasten mit dem Nähgarn hatte sie erst einmal unters Bett geschoben.
Seit dem frühen Morgen wurde Elsa von einem heftigen Kopfschmerz gequält. Er hämmerte gegen ihre Schädeldecke und machte es ihr nahezu unmöglich, die Augen offen zu halten. Hoffentlich kündigte sich nicht schon wieder ein neuer Migräneanfall an. Erschöpft setzte sich Elsa auf den Badewannenrand und nahm eine Tablette aus der blauen Schachtel. Sie musste sich Zeit nehmen, um zur Ruhe zu kommen. Und sie hatte schon lange nichts Schönes mehr gesehen. Gestern Abend den Mond vielleicht, mit seinem geheimnisvollen Licht. Das war so ein Augenblick gewesen. Leider hatte sie es sich nicht leisten können, länger hinzuschauen. Und Elsa hatte auch ein wenig Angst vor dem Mond. Bereits als Kind war es ihr manchmal so vorgekommen, als würde er sie beobachten. Vielleicht sollte sie sich entschließen, Robin zu besuchen. Oder ihre Mutter. Elsa fühlte sich so unrettbar allein, doch sie wusste, diebeiden würden ihr über ihre Einsamkeit auch nicht hinweghelfen können. Das hatten sie nie gekonnt. Warum war Vera nicht nur ein bisschen wie die freundliche Frau in der Villa gewesen, die sie als Kind so oft beobachtet hatte? Und sie selbst nicht wie die Kinder in den großzügigen Gärten? Nein, es würde niemals sein wie bei anderen; sie musste endlich lernen, sich damit abzufinden. Elsa hatte Angst vor der Nacht. Dabei hatte sie doch alles richtig gemacht, warum schwitzte sie dann trotzdem nur so stark?
Als Anna an diesem Abend nach Haus kam, lag wieder ein großer Holzstapel mitten in ihrer Einfahrt. Mit Mühe zwängte sie sich aus ihrer Wagentür und fluchte. Sie war neulich viel zu höflich zu ihrem Nachbarn Herrn Menzel gewesen. Warum hatte sie ihm nicht einfach klargemacht, dass sie mit dem Holz so nichts anfangen konnten? Aber anstatt etwas zu sagen, hatte sie sich nur artig bei ihm bedankt, und als sie ihm anschließend noch geschildert hatte, wie viel Arbeit das Zerkleinern des Holzes gewesen war, hatte Menzel nur milde gelächelt. Eigentlich konnte Anna es ihrem Nachbarn nicht einmal zum Vorwurf machen, wenn dieser ihre leise Kritik nicht verstanden hatte. Doch ein zweites Mal würde ihr das nicht passieren. Anna stapfte mit dem festen Vorsatz, dass es nun an der Zeit für klare Worte war, zu Menzels Haus hinüber.
Herr Menzel öffnete die Haustür, und als er seine Nachbarin, die Kommissarin, erkannt hatte, lachte er sie freundlich an.
„Na, Frau Greve, klasse was!“
„Nett, dass Sie an uns gedacht haben, trotzdem, so geht das nicht, Herr Menzel. Wir brauchen fertig geschnittenes Holz, und es sollte bei Anlieferung gleich hinter dem Haus gestapelt werden.“
Anna fiel auf, dass ihr die Worte eben eine Spur zu hart herausgerutscht waren, und daher versuchte sie ein versöhnliches Lächeln. Wie sich allerdings herausstellte, hatte sie gerade einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen.
„Da sind Sie bei mir aber an der falschen Adresse“, erwiderte Menzel unfreundlich.
„Was würde es denn kosten, wenn Sie das in die Hand nehmen?“
Mist, schon wieder hatte sie den falschen Ton getroffen. Menzel schaute sie an, als ob sie soeben von ihm verlangt hätte, dass er ihre Toilette putzen und den Urinstein entfernen sollte.
„Gute Frau, ich wollte Ihnen nur gefällig sein. Ist wohl nicht richtig angekommen.“
Er murmelte einen kurzen Gruß und schlug ihr dann die Haustür vor der Nase zu. Unzufrieden mit sich selbst stiefelte Anna in ihren Garten zurück. Warum nur fiel sie so oft mit der Tür ins Haus, anstatt das Gespräch diplomatischer zu beginnen. Das wäre bei einem Mann wie Menzel auf jeden Fall besser angekommen und auch angemessen gewesen.
In diesem Moment kam Tom die Einfahrt hochgefahren, und der Bewegungsmelder schaltete die Außenbeleuchtung vor dem Haus an.
„Schau dir das an, so ein Mistkerl!“
Anna registrierte verwundert, dass sie wegen des Zusammenstoßes mit Menzel sogar mit den Tränen kämpfte, und trat ein paar Schritte aus dem Licht heraus.
„Wir werden jemanden finden, der das für uns erledigt“, erwiderte Tom schlicht. „Frag mal bei Paula nach, die kennt doch Gott und die Welt.“
Anna sah ihrem Mann dabei zu, wie er vor ihr den Weg zum Haus entlangging, ohne auf sie zu warten. Warumkonnte er sich jetzt nicht einfach umdrehen und sie in den Arm nehmen?
Nach dem Abendbrot saßen Tom
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