Liebeskind
Pony. Nicht gerade das Urbild eines Bayern, aber äußerlich durchaus ein Pendant zu den immer schick aussehenden Senatoren des Rathauses. Einzig sein Schnauzer ließ auf Schönauers Herkunft nahe den Alpen schließen.
Der Konferenzraum war bereits gut gefüllt, und Anna beeilte sich, um noch einen Stuhl nahe der Tür zu erwischen. Weber trottete hinter ihr her, nicht jedoch dieGiraffe. Sigrid Markisch hatte den einzigen Platz, der in der vordersten Reihe noch frei war, für sich erspäht und stolzierte nun dorthin. Dass sie dabei auch noch von vielen Männerblicken verfolgt wurde, ließ Anna das Blut in den Kopf steigen. Gut, die Markisch mochte eine ganz annehmbare Figur haben, aber dieses Gesicht war nun wirklich kein Hingucker. Womit einmal mehr bewiesen war, worauf ihre männlichen Kollegen zuerst zu achten pflegten.
Schönauer durchquerte nun ebenfalls den Raum, aber in entgegengesetzter Richtung. Er schloss die Tür zum Konferenzraum und zwinkerte Anna dabei zu, machte dann jedoch keine Anstalten, wieder nach vorne zu gehen. Lässig an die Wand neben dem Ausgang gelehnt, begann er mit seinem Vortrag.
„Bedauerlicherweise hat sich Hermann Meyer, wie Sie ja wohl wissen, dafür entschieden, in den Ruhestand zu gehen. Mein Name ist Martin Schönauer, und ich werde in Zukunft das LKA in dieser Stadt leiten.“
Er machte eine Pause und wartete, bis sich alle Anwesenden zu ihm umgedreht hatten. Als das Stuhlgescharre aufhörte, fuhr er fort.
„Personalwechsel an der Spitze einer Behörde bringen immer auch inhaltliche Neuerungen mit sich. Und über Letztere werde ich Sie heute ausführlich informieren, denn ich möchte nicht, dass diesbezüglich irgendwelche Unklarheiten bestehen bleiben. Wir brauchen Sie, jeden Einzelnen von Ihnen. Vielleicht brauchen wir Sie sogar mehr denn je, um die katastrophalen Zustände, die in Hamburg herrschen, endlich zu verändern.“
„Als ob wir hier einen Messias nötig hätten“, raunte Anna Weber zu.
„Dazu gehört unter anderem mehr Transparenz auf jeder Ebene. Deshalb bitte ich Sie, in Zukunft etwas mehr Zeit und Arbeit darauf zu verwenden, Ihre Kollegen aus den anderen Abteilungen immer auf den neuesten Stand ihrer Arbeitsergebnisse zu bringen. Das Verbrechen hat sich vernetzt, deshalb werden wir uns in Zukunft ebenfalls besser vernetzen müssen. Wir werden nicht mehr zulassen, dass sich die Bürger dieser Stadt bedroht fühlen. Schließlich ist die Polizei Hamburgs stets eine der effektivsten der gesamten Bundesrepublik gewesen. Wie Sie alle wissen, bin ich aber auch angetreten, um unsere Behörde zu sanieren. Das heißt, wir werden in Zukunft weniger finanzielle Mittel bei einer gleich bleibenden beziehungsweise ansteigenden Kriminalitätsrate zur Verfügung haben. Um unseren Aufgaben gerecht zu werden, bedeutet das, dass wir uns in Zukunft noch effizienter aufstellen müssen. Wie das im Einzelnen aussehen wird, entnehmen Sie bitte der Informationsmappe, die wir für Sie vorbereitet haben. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.“
Wieder zwinkerte Martin Schönauer der Kommissarin Anna Greve zu. Beim ersten Mal hatte sie sich noch umgedreht, weil sie eine blondierte Kollegin aus der Betrugsabteilung, die immer viel zu enge Pullover trug, hinter sich vermutet hatte. Stattdessen war da aber nur Krügers dickes Gesicht gewesen. Ja, der alte Krüger aus dem Team der Mordbereitschaft 4 hatte sich auf den Platz hinter sie gequetscht. Anna tat, als müsste sie jetzt unbedingt ihre Schnürbänder zubinden, auch wenn es an ihren Schuhen keine gab. Erst als die Kollegen um sie herum aufstanden und den Raum verließen, tauchte Anna wieder aus der Versenkung auf und sah dabei direkt in Schönauers schmunzelndes Gesicht.
„Ist er abgebrochen?“, fragte er und zeigte dabei auf den Absatz ihres Stiefels, während er ihr gleichzeitig eine DIN A4-Mappe reichte.
„Es geht schon, danke.“
Anna beeilte sich, zu Weber aufzuschließen, der bereits halb zur Tür hinaus war.
„Was war denn das, gerade eben?“
Weber saß an seinem Schreibtisch, blätterte in der Hochglanzbroschüre und sah Anna gespannt an. Doch ausgerechnet jetzt gesellte sich die Giraffe zu ihnen ins Büro. Ihr Gesicht war von einer leichten Röte überzogen.
„Endlich einmal ein charismatischer Mann.“
Auch sie blätterte nun in der Mappe von Schönauer, dann spitzte sie, wie eine freichristliche Missionarin, verzückt ihre Lippen.
„Er ist einer von denen, die uns zeigen, wie es gehen kann.“
Beharrlich
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