Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
zwei. Irgendwie wunderte sie das nicht. Es war die Konsequenz ihres von Anfang an verkorksten Lebens. So also fühlte es sich an. Sie rief sich sein Gesicht in Erinnerung. Ein kantiges, nobles Männergesicht. Einen Irren hatte sie sich immer ganz anders vorgestellt.
Es war ein Feldweg, auf dem sie jetzt fuhren, oder eine kleine, enge Straße mit Schlaglöchern. Ihre Angst wuchs, bis jedes Molekül an ihr nur noch aus Angst bestand. Sie spürte ihr Herz gegen den Brustkorb hämmern, die langen Fingernägel krallten sich in ihre Schenkel, die der kurze Rock kaum bedeckte. Die Luft, die von draußen ins Auto strömte, roch nach feuchtem Laub. Ein Wald. Sie hatte Wälder noch nie gemocht. Jetzt war klar, wieso. Konnte es sein, daß man sein Leben lang eine Vorahnung hatte von den Umständen des eigenen Todes? Hatten manche Leute deshalb Angst vor Wasser, vor Feuer, vor Höhe?
Der Wagen holperte, anscheinend hatten sie die Straße verlassen. Dann hielt er an und stellte den Motor ab. Er zog ihr die Jacke vom Kopf. Fichten standen schwarz im Regen, sie parkten auf einer Wiese, vor ihnen ein alter Schuppen, das Holz dunkelgrau vor Nässe.
Er wird mich töten.
Warum sonst sollte er mich hierherbringen? Lieber Gott, hilf mir. Ich werde mein Leben ändern, ich schwöre es, aber laß mich nicht so sterben.
Sie schielte in seine Richtung.
»Schau nach vorn«, sagte er freundlich. »Sonst muß ich dir die Augen mit dem Korkenzieher rausdrehen.«
Sie gehorchte. Ihr Gesicht spiegelte sich in der Frontscheibe. Ein bleiches Oval mit großen Augenhöhlen und dem Viereck des verklebten Mundes. Sie zitterte, wie sie noch nie gezittert hatte, selbst in kältesten Nächten nicht.
Er langte über sie hinweg und zog etwas aus dem Handschuhfach. Es war ein Multifunktionswerkzeug. Schraubendreher, Schere, Zange, Korkenzieher. Der Gedanke an den Tod war nun nicht mehr das Schlimmste, sondern die Angst vor dem Schmerz. Lieber Gott, bitte, mach, daß es schnell geht. Laß es nicht zu, daß er mich lange quält, laß mich schnell sterben.
Er klappte ein Messer aus und schnitt die Schnüre durch, die sie an die Lehne fesselten. Dann öffnete er die linke Handschelle. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Wieder hantierte er an seinem Werkzeug herum, während sie erstarrt dasaß und nicht sah, welches Instrument er diesmal herausklappte. Seine rechte Hand strich über ihre Beine, als prüfe er die Beschaffenheit ihrer Muskulatur. Sollte sie es wagen, mit der nun freien Hand, das Klebeband vom Mund zu reißen, damit sie mit ihm sprechen konnte? Was sollte sie sagen? Nein, es war sinnlos. Einer wie er würde sich weder durch Argumente noch durch Bitten von seinem Vorhaben abbringen lassen. Dann lieber in Würde sterben, ohne Gejammer und Gebettel. Er ergriff ihre linke Hand und führte sie an seinen Mund. Sie spürte seine Lippen über ihren Handrücken streichen, er schien ihre Finger zu betrachten, jeden einzeln.
Sein Griff quetschte ihre Hand zusammen. Dann durchfuhr sie der Schmerz wie Starkstrom.
4
Hauptkommissar Torsten Kreuder war ein schlecht rasierter Mittdreißiger, dessen Frisur an einen nassen Königspudel erinnerte. An seinem Holzfällerhemd fehlte ein Knopf, durch den Spalt spitzelte weißer Feinripp. Auf der Straße hätte Mathilde den Mann eher für einen Kriminellen als für einen Angehörigen der Ordnungsbehörde gehalten, aber vielleicht war ja gerade das der Trick.
»Überlegen Sie, Frau Degen. Wo könnte er Ihre Freundin festhalten?«
»Mir fällt nur der Keller in seinem Haus in Celle ein. Aber so dumm wird er wohl nicht sein.«
»Das werden wir in Kürze wissen«, sagte Kreuder. »Die Kollegen vor Ort sind dabei, das zu überprüfen.«
»Die gehen doch diskret vor, oder? Nicht, daß er merkt …«
»Frau Degen, wir haben zwar nicht jeden Tag einen Entführungsfall, aber Sie können davon ausgehen, daß wir wissen, was wir tun.« Die Worte kamen von einem älteren, grauhaarigen Herr in einem eleganten Anzug, der ihr als Friedwald Fischler, Leiter der Dienststelle, vorgestellt worden war. Er lehnte am Fenster von Kreuders Büro und hatte bis jetzt noch nicht viel gesagt. Außer Kreuder und Fischler befanden sich ein weiterer Oberkommissar, Jürgen Hirsch, und Lars Seehafer im Raum.
Kreuders Telefon klingelte. Das tat es andauernd. Er gab Anweisungen, nannte Namen und Zahlen, die wie geheimnisvolle Codes klangen. Eine Menge Leute schienen binnen kurzer Zeit in die Angelegenheit verwickelt worden zu sein, und
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