Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Franziskas Badezimmer hatte entfernen lassen. Der Fliesenleger hatte sie damals »kultig« genannt. Grillen zirpten, und sie durchquerte eine Wildnis, die den Begriff Garten längst nicht mehr verdiente. Sie fand Franziska im Atelier. Umnebelt von einer Staubwolke, rührte sie mit einem Quirl, der von einer Bohrmaschine angetrieben wurde, eine zähe, graue Masse an. Sie hatte ihr Haar unter eine Schildkappe gepreßt und trug eine Latzhose, in der sie vermutlich schon gegen den Paragraphen 218 demonstriert hatte. Die Abendsonne drang nur mit Mühe durch das staubige Fenster, vor dem eine ganze Reihe verdächtiger Kübelpflanzen stand. Im hinteren Teil des Raums häuften sich alte Möbel, Eisenteile und undefinierbares Gerümpel. Es war glühend heiß, obwohl die Tür offenstand.
»Wenigstens friert man hier nicht«, bemerkte Mathilde zur Begrüßung.
»Der alte Gasofen läßt sich nicht mehr regulieren«, antwortete Franziska.
»Warum machst du ihn dann nicht aus?«
»Die Pflanzen mögen es warm.«
Mathilde hatte keine Lust auf Diskussionen über Marihuanaanbau und über die ihrer Meinung nach kindische Kifferei ihrer Mutter, deshalb fragte sie, auf den Eimer deutend: »Was wird das?«
»Maulwürfe aus Beton.« Ohne aufzublicken rührte Franziska weiter.
»Maulwürfe?« wiederholte Mathilde, während die Maschine sirrte. Mit einem Stück Pappe fächelte sie sich Luft zu.
»Die Gartenzwerge der Zahnärzte und Anwälte. Nachbestellungen vom Gartenfestival Herrenhausen. Von irgendwas muß man ja leben.«
Ganz neue Töne waren das. Sechzig Jahre hatte es gedauert, ehe die Realitäten des Lebens auch ihre Mutter einzuholen schienen.
Endlich stellte Franziska die Maschine ab und bog sich lendenlahm in die Höhe.
»Wo kommst du her?« Argwohn drang aus jeder Pore, während sie nun mit in die Hüfte gestemmten Armen dastand und ihre Tochter musterte.
Franziska hatte Mathilde stets alle Freiheiten gelassen: aus schlechtem Gewissen, als Ausgleich zu Merles konservativ-strenger Erziehung und weil es damals in ihren Kreisen so Usus war. Sie hatte ihrer Tochter eine Freundin sein wollen. Dabei hätte Mathilde lieber eine Mutter gehabt. Nie hatte es Vorschriften oder mütterliche Ratschläge gegeben. Bis heute. Mathilde ließ sich auf eine grobe Holzbank fallen. Mit einemmal löste sich die Anspannung der letzten Stunden, und sie brach in Gelächter aus.
»Bist du betrunken?« Franziska, sonst nicht humorlos, wurde zusehends sauertöpfischer. »Was ist so lustig?«
»Deine Frage.«
»Du warst also dort.«
»Ja.«
»Hast du den Artikel nicht gelesen?«
»Doch, aber …«
»Wirst du wieder hingehen?«
»Was soll dieses Verhör?«
»Sag schon.«
»Ja, aber …«
»Ich muß arbeiten«, unterbrach sie Franziska. »Der Beton. Wir können ein andermal darüber reden.«
»Ist gut«, sagte Mathilde, etwas brüskiert über den plötzlichen Hinauswurf.
Immerhin begleitete Franziska sie bis zum Gartentor.
»Soll ich demnächst zum Mähen vorbeikommen?« fragte Mathilde. Dem Gestrüpp würde man allerdings nur noch mit einer Sense beikommen können.
»Nicht nötig«, befand die Hausherrin, und Mathilde beließ es dabei.
»Ist Frau Huber gestorben?« Mathilde deutete auf den Container.
»Nein. Warum sollte sie gestorben sein? Sie renoviert nur …« Franziska stockte, denn Mathilde war entsetzt stehengeblieben.
Die Kühlerhaube ihres Golf hatte eine riesige Delle. Genau in der Mitte. Der silbermetallicfarbene Lack war abgesplittert, in der Ausbuchtung lagen kleine Steine und rosa Splitter. Die Tatwaffe fand sich neben dem Vorderrad: eine der Huberschen Badezimmerfliesen, an der ein großer Klumpen Mörtel hing.
»Mein Gott«, sagte Franziska, »diese Gegend verkommt auch immer mehr.«
Zu Hause nahm Mathilde die Post aus dem Briefkasten und erkannte sofort einen der Umschläge, in den der Ritter der Kelche die Konzertkarten zu stecken pflegte. Wie immer war keine Briefmarke darauf. Wie kam er eigentlich ins Haus? Er klingelte doch nicht etwa die Nachbarn heraus?
Erst gegen Abend öffnete sie den Umschlag. Schumann, nächsten Donnerstag. Für gewöhnlich zauberte eine solche Karte ein Lächeln auf ihr Gesicht, weckte ein paar Erinnerungen und ein angenehmes Vorgefühl. Heute jedoch dachte sie: Was für eine krampfhaft inszenierte Romantik! Vorausgesetzt, man verstand unter Romantik jenes Ritual, das mit einer Konzertkarte im Briefkasten begann, dem der Genuß von Musik, Wein und launigen Gesprächen bei
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