Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
die Schließerin letzten Freitag kam und sagte, ich solle meine Sachen packen.«
»Wie bitte?«
Er bestrich eine Scheibe Toast mit Butter. »Anfang des Jahres hat mir mein Anwalt Hugo Nössel erzählt, daß Anja Koch bei ihm war. Zu dem Zeitpunkt war aber noch völlig offen, ob die Koch tatsächlich die Wahrheit sagt, und ob die Wiederaufnahme zugelassen wird. In den allermeisten Fällen werden Revisionsanträge abgelehnt oder ziehen sich ewig hin. Gerichte schätzen es nicht sonderlich, wenn ihre Irrtümer ans Licht kommen. Es hätte gut sein können, daß der graphometrische Gutachter vom LKA den Brief für nicht echt befindet oder der Richter die jetzige Aussage der Koch für unglaubwürdig hält. Deshalb wollte ich abwarten, um dir keine falsche Hoffnungen zu machen. Daß dann innerhalb weniger Wochen über den Antrag entschieden wird und sie mich sogar bis zur Verhandlung rauslassen, das hätte ich nicht zu träumen gewagt.«
»Warum hast du mir nicht gesagt, daß du unschuldig bist?«
»Hättest du mir denn geglaubt?« fragte er zurück.
Mathilde blieb die Antwort schuldig. Hinter ihrer Teetasse verschanzt sah sie zu, wie er mit dem Perlmuttlöffel sacht gegen die Eierschale klopfte und das Ei sorgsam und ohne Hast pellte. Auch wenn sie sich nicht gerne mit einem Frühstücksei maß, so drängte sich der Vergleich dennoch auf: Auf ganz ähnliche Weise hatte er sie letzte Nacht geliebt – mit Sorgfalt.
»Wann wird die Verhandlung sein?«
»Voraussichtlich im Oktober.«
»Es wird doch gutgehen?«
»Bestimmt. Sonst hätten sie mich nicht entlassen.«
»Mein Gott, wie mußt du dich gefühlt haben, all die Jahre …«
»Ich habe versucht, den Tag zu überstehen und dann den nächsten und wieder den nächsten … Manchmal war es nur der Haß, der mich am Leben erhalten hat. Aber daran denke ich jetzt nicht mehr.« Er seufzte. »Es ist, als wäre ich ein zweites Mal geboren worden, alles ist neu und das erste Mal. Zum Beispiel das hier: Mein erstes Frühstücksei seit Jahren.«
»Ist es nicht zu hart?«
»Es ist wachsweich – genau richtig.«
Mit Erleichterung bemerkte Mathilde, daß sie gerne mit Lukas beim Frühstück saß.
»Was hast du nun vor?« fragte sie.
»Ich werde versuchen, wieder Seminare zu geben wie früher. Was meinst du, ob ich mir im Gästezimmer ein Büro einrichten kann?«
»Sicher.« Sie hatte während der vier Jahre, die sie hier wohnte, nicht einen Übernachtungsgast beherbergt. Zumindest keinen, der im Gästezimmer geschlafen hätte.
»Und dieser Raum mit der verspiegelten Wand, der wäre geradezu ideal als Seminarraum.«
Mathilde schluckte.
»Es wäre ja nur für den Anfang, bis die Sache läuft und ich mir eigene Räume leisten kann.«
Wie einfach er sich das vorstellte. Die Zeiten, in denen Personalchefs Chaka-Chaka-Kurse spendierten, waren ihrer Meinung nach vorbei. Und ob Privatpersonen heute noch Geld für solche Extravaganzen übrig hatten, war zu bezweifeln. Doch sie behielt ihre Bedenken für sich.
»Mußt du morgen zur Schule?« fragte er.
»Ja, leider. Ich habe zugesagt, bis zum Schuljahresende zu bleiben, dafür bekomme ich achtzehn Gehälter Abfindung. Das sind fast neunzigtausend Euro.«
»Nicht schlecht«, meinte Lukas.
»Ich wäre lieber an der Schule geblieben. Hätte ich das mit deinem Revisionsantrag früher gewußt, hätte ich darauf verzichtet, meinen Arbeitgeber zu erpressen. So angenehm war das nämlich nicht.«
»Aber es hat sich doch gelohnt. Du bekommst sicher leicht eine neue Stelle.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mathilde. »Die Zeiten haben sich geändert.«
»Allerdings.« Lukas grinste. »Da draußen …«, er deutete vage in Richtung Stadtwald, »… laufen Leute mit Skistöcken herum, und sie sind angezogen wie Joghurtbecher.«
Mathilde mußte lachen. Eine Weile philosophierten sie über die Zeiterscheinungen der letzten acht Jahre, dann wurde Mathilde wieder ernst.
»Was ich eigentlich sagen wollte ist, daß sich die Zeiten geändert haben, seit ich mich das letzte Mal auf eine Stelle beworben habe. Ich bin keine dreißig mehr.«
»Gute Leute werden immer gesucht. Wir sind doch flexibel. Was hält dich hier?«
»Ich bin hier zu Hause. Ich mag diese Stadt und meine Wohnung.«
»Deine Wohnung«, wiederholte er.
»Ich meine, unsere Wohnung. Diese eben.« Wie verräterisch Sprache sein konnte.
Er nahm ihre Hand und küßte ihre Fingerspitzen. »Es kommt alles ein wenig plötzlich für dich, hm?«
Mathilde nickte.
»Ich werde
Weitere Kostenlose Bücher