Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
nichts mehr Verlaß?
Sie fand einen Parkplatz vor dem Haus und schleppte den Korb und die beiden Tüten nach oben. Wann hatte sie zum letztenmal so viel eingekauft? Beim Aufschließen hörte sie Stimmen. Eine Männerstimme. Ein Frauenlachen. Im schlecht beleuchteten Flur wikkelte sich etwas um ihre Beine, sie stolperte und konnte sich gerade noch an der Garderobe festhalten. Der Korb kippte um, die Einkäufe kullerten über den Teppich. Ihre Füße hatten sich in den Gurten seines Rucksacks verfangen. Sie hob ihn auf und schleuderte ihn ins Gästezimmer. Leise fluchend sammelte sie die Sachen ein und trug sie in die Küche. Ein Joghurt war geplatzt, ausgerechnet Himbeer auf dem hellen Teppichboden.
Im Wohnzimmer hörte sie Lukas’ sonore Stimme – »… hat befürchtet, bei Selbstmord werde die Lebensversicherung nicht bezahlen. Sie war nicht die Begünstigte, deshalb geriet sie nie in Verdacht.«
»Wer hat dann das Geld bekommen?« fragte die Stimme des Schulpsychologen Jens gerade.
»Eine Tante der beiden. Die Eltern lebten nicht mehr. Anja hatte vor, der Tante das Geld abzuschwatzen, was ihr dann auch gelungen ist.«
»Wieviel war es?«
»Achtzigtausend Mark.«
Leona, Jens und Lukas saßen an dem großen Tisch in Mathildes Salon. Lukas trug ein zerknittertes aber anscheinend frisches Hemd, er war rasiert, sein Haar hing ihm feucht in die Stirn. Es roch nach Zigarettenrauch. Zwei Kippen lagen auf einer Untertasse.
»Wo warst du so lange?« Lukas streckte den Arm nach ihr aus, aber Mathilde blieb stehen, wo sie war. Das würde ich dich gern fragen, dachte sie.
»Tag, Leona. Tag, Jens.«
Die beiden winkten ihr zu. Eine Sektflasche stand auf dem Tisch, eine zweite steckte im Silberkübel.
Leona strahlte Mathilde an. Sie hatte heute hellblaue Fingernägel, und ihre Frisur erinnerte mehr denn je an ein Medusenhaupt.
»Ich räume nur rasch die Einkäufe weg. Und Lukas …«
»Ja?«
»Geraucht wird auf dem Balkon.«
»Gewiß doch.«
In der Küche griff Mathilde als erstes nach dem Stapel Zeitungen, den Frau Bolenda artig vor der Tür aufgetürmt hatte. In der letzten Wochenendausgabe wurde sie fündig:
Mordfall Petra Machowiak:
Neue Beweise nach acht Jahren
Saß Feller jahrelang unschuldig im Gefängnis?
Sie überflog den Anfang, in dem die Umstände von Petra Machowiaks Tod im August 1995 geschildert wurden, und verschlang die untere Hälfte des Artikels.
… wie ein Sprecher des Landgerichts mitteilt, hat die Schwester der Toten, die seinerzeit die Leiche zusammen mit dem Hausmeister gefunden hatte, ihre damalige Aussage widerrufen bzw. eine Falschaussage zugegeben. Anja Machowiak, die heute nach ihrem geschiedenen Mann Koch heißt, gibt an, sie habe die Wohnung schon zwei Tage früher mit einem Wohnungsschlüssel betreten und ihre Schwester tot aufgefunden. Auf dem Schreibtisch lag ein Abschiedsbrief und am Boden die Tatwaffe, der besagte »Schaftöter«. Sie habe das Schreiben und die Waffe entfernt und die Indizien so manipuliert, daß der Verdacht auf Lukas Feller fiel.
Über ihre Gründe für dieses Vorgehen wurde bislang nichts bekannt. Anja Koch (42) legte der Staatsanwaltschaft nun unter anderem den Abschiedsbrief vor.
Fellers Anwalt Hugo Nössel beantragte ein Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 359 StPO, dem das Gericht stattgegeben hat. Eine Unterbrechung der Vollstreckung bis zum Verhandlungstermin wurde angeordnet. Anja Koch muß mit einer Anklage wegen vorsätzlicher falscher uneidlicher Aussage rechnen. Sie ist krebskrank und befindet sich in einer Klinik. Fellers Verteidiger Hugo Nössel vertritt die Meinung, man habe die Ermittlungen damals nicht sorgfältig genug geführt. Polizei und Staatsanwaltschaft hätten sich von vornherein auf Feller als Täter »eingeschossen«. Der damals mit den Ermittlungen betraute Kriminalhauptkommissar Lars Seehofer weist diese Vorwürfe energisch zurück. Feller war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen, ebensowenig seine Frau, eine Lehrerin, die er erst vor wenigen Wochen in der Haft geheiratet hat.
Sie legte die Zeitung hin. Sie hatte die Türen offengelassen und konnte das Gespräch nebenan verfolgen, während sie die Einkäufe in den Kühlschrank stopfte.
»… hatte ihn natürlich mitgenommen. Keine Tatwaffe, kein Selbstmord. Um obendrein einen Mörder zu haben und mich zu belasten, kam sie auf die Idee mit den Schuhen.«
»Welche Schuhe?« fragte Leona.
»Ich war damals ein fanatischer Jogger und hatte bei Petra ein Paar
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