Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Laufschuhe deponiert. Anja hat mit dem Sohlenprofil und ein wenig Blut aus der Kopfwunde eine Spur gelegt – sozusagen bis vor meine Tür. Die Schuhe hat sie in der Nähe meiner Wohnung in eine Mülltonne geworfen, wo die Polizei sie auch prompt fand.«
»Und wie kam diese Petra an den Schaftöter?« Das war Jens.
»Ich hatte ihn ihr geschenkt, ich brauchte ihn nicht mehr. Sie war fasziniert davon.«
»Warum hast du mitten im Prozeß dieses Geständnis abgelegt?« wollte jetzt Leona wissen.
Hatten sie sich schon bei der Trauung geduzt? fragte sich Mathilde, während sie versuchte, sechs Flaschen Pils im Türfach des Kühlschranks unterzubringen.
»Nachdem der Staatsanwalt ein Indiz nach dem anderen präsentierte, erschien mir die Möglichkeit eines Freispruchs aus Mangel an Beweisen plötzlich sehr unwahrscheinlich. Alles klang so plausibel. Dazu kam dieser Professor, der sehr überzeugend wirkte und mich als eiskaltes Monstrum beschrieb. Da habe ich die Nerven verloren. Ich dachte, ich käme mit einem Geständnis und mit einer Verurteilung wegen Totschlags besser weg. Leider war das ein Irrtum.«
»Du mußt doch furchtbar wütend auf diese Frau sein.«
»Ja, schon. Die erste Zeit im Knast hat mich die Wut fast aufgefressen. Aber was nützen mir Rachegefühle? Sie stirbt ohnehin bald«, antwortete Lukas. »Ich kann Anja sogar verstehen. Sie brauchte Geld, sie hatte Schulden. Außerdem wollte sie sich dafür rächen, daß ich ihrer Schwester den Vorzug gegeben hatte.«
»Verschmähte Frauen sind zu allem fähig«, bekräftigte Jens.
Sieh an, so einen Spruch hätte ich ihm gar nicht zugetraut, dachte Mathilde. Sie ging ins Wohnzimmer, setzte sich an die Stirnseite des Tisches und ließ sich von Leona ein Glas Sekt reichen.
»Erstaunlich, wie pragmatisch Sie das sehen können«, sagte Jens zu Lukas.
»Ich muß ja froh sein, daß sie überhaupt mit der Wahrheit rausgerückt ist.«
»Sonst hättest du noch sieben Jahre unschuldig gesessen«, ergänzte Leona.
»Oder noch länger«, sagte Lukas. »Es herrscht der Irrglaube, daß Lebenslängliche nach fünfzehn Jahren automatisch aus dem Gefängnis kommen. Das ist aber nicht der Fall. Nur wer sich gut benimmt und eine gute Prognose hat, wird entlassen. Dann ist man auf Bewährung draußen und bei der kleinsten Kleinigkeit wieder drin.«
Daraufhin schwiegen alle nachdenklich, bis Mathilde in die Stille hinein fragte: »Aus welchem Grund sollte Anja Machowiak ihrer toten Schwester das Haar abgeschnitten haben?«
»Hat sie das?« fragte Leona und sah verwirrt von einem zum anderen.
»Sie oder der Mörder«, sagte Mathilde.
Lukas betrachtete seine Frau mit einem unergründlichen Blick und antwortete: »Salopp formuliert: Wenn ein Körper in acht Teilen daliegt, ist ein Selbstmord recht unwahrscheinlich. Also galt es, die Leiche irgendwie zu verstümmeln. Aber die wenigsten Menschen bringen das fertig. So hat Anja ihrer Schwester nur das Haar abgeschnitten.«
»Aber das beweist keinen Mord«, wandte Jens ein. »Diese Petra könnte es vor ihrem Suizid selbst getan haben.«
Lukas schüttelte den Kopf. »Man fand Haare in der Kopfwunde und ein paar neben der Leiche. Die Haare wurden definitiv erst nach ihrem Tod abgeschnitten, und zwar mit einer gewöhnlichen Schere dicht am Kopf, das konnten die Forensiker feststellen. Aber es ist richtig, das abgeschnittene Haar allein beweist nichts. Doch im Gesamtbild sieht es nach der Trophäe eines Perversen aus. Das Haar wurde nie gefunden, die Schere auch nicht.«
»Vielleicht wollte diese Anja nicht, daß ihre Schwester eine schöne Leiche abgibt«, meinte Leona.
»Das kann durchaus sein«, stimmte Lukas zu. »Anja hat Petra immer um ihr Aussehen beneidet.«
»Bestimmt wurde die hübschere Schwester von allen bevorzugt. Oh, wie ich das kenne«, stöhnte Leona. »Ich hätte meine jüngere Schwester manchmal auch gerne gekillt.«
»Hast du es nie versucht?« fragte Lukas.
»Doch, ich habe ihr Vogelbeeren zu essen gegeben. Aber sie hat sie ausgespuckt.«
»Wie alt warst du da?« wollte Lukas wissen.
»Sechs. Sie war vier, das kleine Miststück.«
»Jeder Mensch ein Abgrund, es schaudert, wenn man hineinsieht« , zitierte Mathilde. Die Theater-AG ihrer Schule hatte erst kürzlich Woyzek aufgeführt, deshalb waren ihr noch ein paar Worte geläufig.
Lukas warf ihr einen aufmerksamen Blick zu.
Jens stand auf. »Komm, Leona, wir sollten jetzt verschwinden.«
Leona war beschwipst und wollte noch nicht gehen. Sie wandte
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