Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Tür.
»Ich habe mir schon gedacht, daß ihr heute noch auftaucht«, sagte sie ohne Umschweife. Sie trug ein hochgeschlossenes, weinrotes Kleid und keinen Schmuck. Mit dem Haar, das sie heute straff zu einem Knoten gebunden hatte, erinnerte sie an eine spanische Tänzerin. Etwas ungewohnt Stolzes war in ihrer Haltung, und zum erstenmal bemerkte Mathilde die Ähnlichkeit zwischen Merle und Franziska.
Mathilde stellte Lukas und ihre Mutter vor.
»Wieso hast du gedacht, daß wir heute kommen?« fragte sie dann.
»Mütter haben einen siebten Sinn für so was«, antwortete Lukas an ihrer Stelle.
»So ist es«, bestätigte Franziska. »Kommt rein.«
Sie folgten ihr ins Wohnzimmer, das für Franziskas Verhältnisse sehr aufgeräumt war. Drei bauchige Gläser und eine Karaffe mit dunklem Rotwein warteten auf dem Tisch, den eine tadellos weiße Tischdecke zierte. Franziska zündete zwei Kerzen an. Sie hatte die silbernen Leuchter sogar poliert. Mathilde hätte sie am liebsten an sich gedrückt und ihr gedankt, daß sie sich endlich einmal wie eine normale Mutter benahm. Aber derlei Gefühlsausbrüche waren nicht ihre Sache, schon gar nicht vor Lukas.
»Wo ist denn Herr Kunze?« fragte sie statt dessen und fügte, um Franziska auf diese Weise zu erfreuen, hinzu:»Ich fand ihn ganz sympathisch.«
»Er leitet die Gemeindeversammlung«, erklärte Franziska. Sie füllte die Gläser, ohne etwas zu verschütten, was mit dieser bauchigen Karaffe gar nicht so einfach war. Im Licht der Kerzen sah sie Merle gespenstisch ähnlich. Mathilde fragte sich, ob sie erst sechzig Jahre alt hatte werden müssen, um die Pose der ewigen Rebellin abzuschütteln, ehe ihre Klasse zum Vorschein kam. Franziska hatte bis jetzt nicht gelächelt, und als sie nun ihr Glas hob, war Mathilde nicht sicher, ob sie gleich einen Toast oder einen Fluch ausbringen würde.
»Auf eure Zukunft«, sagte sie schlicht. Sie stießen an und tranken den ersten Schluck im Stehen. »Ich kann auch ein Bier aus dem Keller holen«, erklärte Franziska bereitwillig.
»Nein, der Wein ist ausgezeichnet«, lobte Lukas. »Ich darf nur nicht zuviel davon trinken, ich vertrage nichts mehr.«
Es war zum Glück kein Billigwein, erkannte Mathilde, die die Karaffe mit einem gewissen Unbehagen betrachtet hatte.
»Ein interessantes Bild.« Lukas wies auf das Yin-und-Yang-Gemälde über dem Sofa. »Ich habe früher auch gemalt. Aber längst nicht so gut.«
»Tatsächlich?«
»Ja, Aquarelle, ganz konservativ. Sonnenaufgang im Teufelsmoor und solche Sachen. Aber ich bin aus der Übung.«
»Vielleicht läßt sich das ändern. Setzt euch, ich hole noch etwas Käse«, sagte Franziska und ging in die Küche.
Sie nahmen artig auf dem Sofa Platz, wobei Lukas Mathilde zuzwinkerte. »Das wird schon«, flüsterte er und hauchte ihr einen Kuß auf die Stirn. Mathilde erkannte, wie angespannt sie seit Stunden gewesen war. Sie drückte seine Hand und hatte das Gefühl, daß alles gut werden könnte.
Während der folgenden Woche trafen fast täglich Pakete ein. Büromöbel, Computer, Drucker, Flachbildmonitor, alles in exquisiter Qualität. Dazu kam ein Schrank voll neuer Kleidung. Lukas gab bei einer Maßschneiderei zwei neue Anzüge in Auftrag und bestellte zwei Paar maßgefertigte Schuhe. Bald würde seine Rücklage aus der Haftzeit aufgezehrt sein, sorgte sich Mathilde. Aber Lukas meinte, in ein Geschäft müsse man vernünftig investieren, sonst sei es von vornherein zum Scheitern verurteilt. »Außerdem bekomme ich Haftentschädigung, wenn ich freigesprochen werde, und die Story im Stern bringt auch einen Batzen.«
Immer öfter waren nun fremde Menschen anwesend, wenn Mathilde von der Schule nach Hause kam. Ein Reporter, ein Fotograf, sein Rechtsanwalt Hugo Nössel, eine Dame, die eine neue Webseite für ihn entwerfen sollte. Einmal saß ein südländisch aussehender Mann am Tisch, mit dem Lukas in einer Mischung aus französisch und russisch redete.
»Eine Knastbekanntschaft?« fragte Mathilde später.
»Legion«, antwortete Lukas nur. Mathilde wollte es gar nicht genauer wissen.
Von nun an machte sie es sich zur Gewohnheit, nach der Schule erst einmal für zwei, drei Stunden in ihrem Arbeitszimmer zu verschwinden. Das einzige Refugium, das ihr geblieben war. Es wird sich alles finden und regeln, beruhigte sie sich selbst. Immerhin hatte er sich von einem Tag, nein, von einer Minute auf die andere das Rauchen abgewöhnt. »Im Knast muß man einfach rauchen, man hat sonst
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