Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Mathilde den Fahrzeugbrief. Dann stellte er sich vor eine Regalwand mit vergilbten Aktenordnern und brummte nachdenklich: »Lukas Feller. Ich meine, der Name ist mir schon mal untergekommen.«
»Sicher in der Zeitung.«
»Nein, nicht in der Zeitung, hier. Ich bilde mir ein, ich hätte mal ein Auto für ihn verkauft.«
Er griff nach einem Ordner und blätterte darin. »Einen Jeep«, murmelte er. »Damals, als ich noch Autos nach Marokko und Algier verkauft habe.«
»Wann war das genau?«
Lauda überlegte, während er weiterblätterte: »Es muß irgendwann im Herbst gewesen sein. Genau, einen oder zwei Monate nachdem hier die große Randale in der Nordstadt war.«
»Welche Randale?«
»Na, die Chaostage. Die waren immer Anfang August. In dem einen Jahr haben sie mir das Tor angesprüht und im Jahr darauf, fünfundneunzig, als es zum letztenmal ganz schlimm wurde, da haben die mir zwei Autos angezündet.«
Mathilde erinnerte sich. Mehr als zweitausend Punks, Autonome und rechte Hooligans aus ganz Deutschland hatten sich stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei geliefert. Danach hatte der Polizeipräsident, der die Gewaltbereitschaft und die Anzahl der Randalierer unterschätzt hatte, seinen Hut nehmen müssen.
»Es muß also im September vierundneunzig gewesen sein«, kombinierte Lauda und stellte den Ordner wieder ins Regal. »Da waren noch die Graffitis am Tor. Ich habe fast zwei Monate auf die Firma gewartet, die dem Tor einen Spezialanstrich verpaßt hat. Ah, hier habe ich es.« Er zog einen anderen Ordner heraus. »Ein Jeep Cherokee 4.0, Baujahr 1989, der stammte noch aus den Staaten, von AMC … Auf dem Kaufvertrag steht der 18. September 1994. Dann wird’s wohl auch so gewesen sein.«
Mathilde war hinter ihn getreten und betrachtete das Datum auf dem Papier, während ihr allerhand Gedanken durch den Kopf gingen. Ein metallisches Geräusch ließ sie herumfahren.
Lukas stand in der Tür und klapperte mit den Autoschlüsseln in seiner Hand. »Bist du so weit, Mathilde?«
Sie fuhren mit offenem Verdeck in Richtung Innenstadt. Lukas saß am Steuer. Seine rechte Hand streichelte Mathildes Nacken – wenn er nicht gerade schalten mußte. An jeder roten Ampel küßten sie sich wie zwei Teenager. Mathilde hatte ihren Hut abgesetzt und genoß die Berührung seiner Hand und den Wind im Haar. Im Radio spielte Calexico. Ein leiser Schmerz bohrte sich in ihre Brust. Das ist ein absolut perfekter, unwiederbringlicher Augenblick, dachte Mathilde, randvoll vor Glück, und der Fahrtwind machte sich über die Träne her, die ihr aus dem Augenwinkel drang.
Am Thielenplatz parkte er den Wagen. »Ich muß da drüben ein paar Sachen besorgen.« Er deutete auf einen Laden, in dessen Schaufenster Rucksäcke und Windjacken ausgestellt waren.
»Was hast du vor?«
»Laß mich dich doch auch mal überraschen.«
»Das ist dir neulich schon gelungen«, meinte Mathilde.
»Ich habe meine EC-Karte noch immer nicht bekommen, die Banken sind nicht gerade schneller geworden. Kann ich deine haben?«
»Natürlich. Ich warte hier, wir stehen nämlich im Halteverbot.«
»Danke«, sagte er und küßte sie. »Für das tolle Auto und dafür, daß es dich gibt.«
Er verschwand in dem Geschäft. Mathilde lehnte den Kopf zurück und schloß die Augen. Die Sonne war herausgekommen, und die Strahlen wärmten ihr Gesicht. Doch unweigerlich geriet sie ins Grübeln. Wann war die Studentin Johanna Gissel verschwunden? Sie war sich sicher, daß es September ’94 gewesen sein mußte. Und kurz darauf hatte er sein Auto verkauft. Ins Ausland.
Was zerbrichst du dir den Kopf, Mathilde, was bringt das? Hör auf damit. Aber natürlich war das nicht möglich. Lukas hatte offensichtlich ein Auto an Lauda verkauft. Aber Lukas hatte die Werkstatt anscheinend nicht gekannt, sonst hätte er anders reagiert. Es sei denn, er hätte ihr etwas vorgespielt. Sie würde Lauda nochmals …
»Gnädige Frau, wie lange wollen Sie hier noch stehenbleiben?« fragte eine Dame in Dunkelblau.
»Bin sofort weg«, beeilte sich Mathilde zu antworten.
»Das hoffe ich«, antwortete die Asphaltheldin ungnädig. »Hier ist Halteverbot.«
Zum Glück kam Lukas gerade aus der Tür, gefolgt von einem älteren Herrn. Beide waren schwer bepackt. Sie brauchten eine ganze Weile, bis sie die Einkäufe im winzigen Kofferraum des Porsche untergebracht hatten.
»Das kann auf den Notsitz«, ordnete Lukas an.
»Vorsicht, mein Hut!« rief Mathilde.
Die Politesse strich noch
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