Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
fest.«
Verständlich, dachte Mathilde.
Hatte diese Psychologin im Café nicht den Eindruck entstehen lassen, sie sei Lukas’Therapeutin? Oder hatte Mathilde da etwas mißverstanden? »Der Psychologische Dienst ist also nur für Sexualstraftäter zuständig?« fragte sie daraufhin und bemerkte, wie Lukas ihr einen argwöhnischen Seitenblick zuwarf.
Dann beantwortete er ihre Frage: »Nein, die haben noch mehr zu tun. Sie machen bei jedem eine Eingangsdiagnostik, es gibt die Suchtberatung oder das Antiaggressionstraining. Viele absolvieren das freiwillig, das macht sich immer gut. Außerdem steht jedem Häftling alle sechs Monate ein Gespräch über die sogenannte Vollzugsplanung zu.« Er grinste und fügte ironisch hinzu: »Der Strafvollzug soll ja nicht nur sicher, sondern auch sinnvoll gestaltet werden. Also berät man alle sechs Monate über Dinge wie Ausbildung, berufliche Weiterbildung, Lockerungen und Vergünstigungen. Danach wird entschieden, wie es weitergeht. Dabei spielen die Psychologen natürlich eine Rolle. Warum fragst du, willst du dich etwa bewerben?«
Mathilde verschluckte eine zynische Antwort und fragte statt dessen: »Was meinst du, hätten sie dir in nächster Zeit Ausgang gewährt?«
»Nein, bestimmt nicht. Die Beerdigung meiner Mutter war eine Ausnahme. Bei den Lebenslänglichen denken sie erst nach zehn Jahren mal so langsam über Ausgang nach.«
»Nach zehn Jahren?«
»Frühestens.«
Hatte diese Tiffin nicht von möglichen Vollzugslockerungen nach der Hälfte der Zeit, bis hin zu einer möglichen vorzeitigen Entlassung gesprochen? Demnach hatte sie gelogen, und noch dazu sehr riskant, denn sie lief Gefahr, daß Mathilde von der Zehn-Jahres-Regelung wußte. Wozu diese Verrenkungen?
Hatte sie aus diesem Grund – weil sie Mathilde falsch informiert hatte – gewollt, daß Mathilde Lukas von der Unterhaltung im Café nichts berichtete? Wenn dem so war, dachte Mathilde verärgert, dann mußte sie sich nicht an ihr Versprechen gebunden fühlen. Sie überlegte, ob sie Lukas nach der Tiffin fragen sollte, aber dann schwieg sie doch. Vielleicht, dachte sie, sollte ich erst diese Dame zur Rede stellen.
Sie saßen einander gegenüber und lauschten in die Stille. Hin und wieder knackte ein Ast im Feuer. Ein Nachtvogel schrie. Lukas hatte die zweite Flasche Rotwein entkorkt. Er reichte Mathilde den Becher.
»Trink.«
Sie nahm einen großen Schluck.
»Woher hast du den Ausdruck?« fragte er mit harter Stimme.
»Welchen Ausdruck?« fragte Mathilde verwirrt.
» Psychologischer Dienst ?«
»Keine Ahnung«, erwiderte sie wenig schlagfertig. »Vielleicht von dir. Oder von der Internetseite der JVA«, fiel ihr noch ein.
»Ah, so«, sagte Lukas gedehnt. Die Flammen zauberten Schatten auf sein Gesicht. Er tauchte seinen Daumen in den Wein und fuhr damit über ihre Lippen.
Erneut sah er sie durchdringend an, jedoch hatte sich sein Blick verändert. Mathilde kannte diesen Ausdruck. Genau so betrachtete der schwarze Kater ihrer Mutter eine Maus, die er gerade in eine Ecke getrieben hatte.
Der Brief kam am Mittwoch per Einschreiben. Lukas hatte den Empfang quittiert. Das Schreiben kam von der Schule. Darin stand, daß der Vorstand des Lise-Meitner-Gymnasiums Mathildes Kündigung zum 31. Juli 2005 akzeptierte. So weit war das abgesprochen worden. Beunruhigend war, daß kein Wort von einer Abfindung in dem Brief stand. Nun, vielleicht regelten sie das lieber unter der Hand. Aber als sich das ungute Gefühl immer breiter in ihr machte, beschloß Mathilde, Ingolf Keusemann zu Hause anzurufen.
»Der Grund für das von Ihnen verlangte Schweigegeld ist ja nun weggefallen«, ließ Keusemann sie wissen, und fügte mit einer Prise Häme hinzu: »Sie können getrost in Talkshows auftreten und Interviews geben. Ihr Mann ist ein tragischer Held. Das läßt sich sicher gut vermarkten.«
Mathilde schluckte ihren Zorn und die scharfe Antwort, die ihr in den Sinn kam, hinunter. Zumal Keusemann einen wunden Punkt getroffen hatte: Sie hatte sich schon die ganze Zeit im stillen über ihren Erpressungsversuch geschämt.
»Damit fällt aber auch der ursprüngliche Kündigungsgrund weg«, hielt ihm Mathilde vor Augen.
»Im Prinzip ja«, räumte Keusemann ein. »Aber Sie haben ja gekündigt.«
»Weil Sarstedt mich darum gebeten hat.«
»Nun, wir haben natürlich über die neue Lage der Dinge nachgedacht …«, faselte Keusemann.
»Und?« fragte Mathilde, nichts Gutes ahnend.
»Der Vorstand läßt sich nun mal
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