Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
dich zusammen, Mathilde. Selbstmitleid hast du doch immer verabscheut.
Sie fand das Teesieb in der Schublade, in der die Tarotkarten lagen. Seit Lukas hier lebte, hatte sie keine Karte mehr gezogen. Zuerst hatte sie es vergessen, dann hatte sie befürchtet, er könne sie dabei überraschen, was ihr peinlich gewesen wäre. Aber jetzt war Gelegenheit, dem alten Laster zu frönen. Sie mischte die Karten, nahm eine und lachte laut auf. Eine gefesselte Frau. Die Acht der Schwerter . Die stand für: schlechte Neuigkeiten, Krise, Bedrängnis, Schicksalsschlag. Schöne Aussichten! Sie warf den Stapel zurück in die Schublade, zog sich um und ging in den Stadtwald, um sich die Wut aus dem Leib zu rennen.
Das Bredero-Hochhaus an der Hamburger Allee war ein abgrundhäßliches, graubraunes Betonrelikt aus den siebziger Jahren. Es stand zwischen dem Raschplatz und dem Beginn der Lister Meile, und das war nicht gerade die beste Gegend der Stadt. Die unteren fünfzehn Etagen beherbergten Büroräume, die meisten davon waren gespenstisch leer. Zu den Fahrstühlen mußte man durch eine Passage mit viel Dunkelbraun und grünen Teppichen. Die Wohnung von Treeske Tiffin war eine von achtundachtzig und lag im einundzwanzigsten Stock.
Treeske schloß die Tür auf, ließ den Mantel von den Schultern gleiten, lief ins Zimmer und stellte den Fernseher an. Das Programm war ihr egal, sie brauchte nur die Geräuschkulisse. Dann absolvierte sie ihren Kontrollgang. Die Wohnung war klein, das war beabsichtigt. Sie mußte überschaubar sein. Ein großer Raum mit einer Küchennische, ein Bad, der Flur, fertig. Sie schaute in den Kleiderschrank, unter das Bett, hinter die Vorhänge, in den Putzschrank, in die Dusche. Alles in Ordnung, der schwarze Schatten war nicht da. Sie zog die Sachen aus, die sie zur Arbeit getragen hatte und schlüpfte in ein überlanges, schwarzes T-Shirt, in dem sie auch schlief.
Erst einmal ein Glas Wein und eine Zigarette. Sie stellte sich ans Fenster. Das war ihr Lieblingsplatz, hier lag einem die Stadt zu Füßen: Im Vordergrund waren der Bahnhof und das grüne Dach des Busbahnhofs zu sehen, weiter hinten das verschnörkelte Rathaus, das Stadion, der markante verschachtelte Glasbau der Nord/LB und der schwere Turm der mittelalterlichen Marktkirche.
Im Fernsehen lief ein Quiz. Du mußt was essen! Sie rauchte auf, ging in die Küche und schmierte sich ein Brot, das sie wahrscheinlich morgen früh angebissen wegschmeißen würde. Am Ende würde es doch wieder bei den Pillen bleiben – den Pillen und einer Flasche Wein.
Es klingelte.
Sie erstarrte und biß sich in die linke Faust. Die rechte umklammerte das Messer, mit dem sie gerade die Butter auf das Brot gestrichen hatte.
Es klingelte nochmals. Nachdrücklicher diesmal, wie ihr schien.
Sie ging in den Flur. Durch das geriffelte Glas sah sie einen Schatten, dessen Konturen verschwammen. Sie erkannte ihn dennoch. Weil sie seine Anwesenheit spürte.
Sie dachte an ihr letztes Zusammentreffen, im Gefängnis. Zuvor hatte sie ein paar Pillen genommen, die sie mutig machten. Dann hatte sie ihn in ihr Büro bringen lassen und ihm eine kleine Szene gemacht.
»Was soll das? Mußtest du dich vor meinen Augen mit ihr verloben?« hatte sie ihn ohne Rücksicht auf eventuelle Lauscher angebrüllt.
Er war ganz ruhig geblieben. »Das hat nichts mit dir zu tun.«
Eine typische Männerantwort.
»Sag, was willst du von dieser Frau? Warum mußt du sie heiraten ?«
»Ich weiß schon, was ich tu.«
Mehr hatte sie nicht aus ihm herausbekommen. In einem Anfall rasender Wut und Eifersucht hatte sie sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Mittel eingesetzt, um ihn umzustimmen. Natürlich vergeblich. Zum Abschied hatte er seine Hände wie einen Schraubstock um ihr gerötetes Gesicht gelegt und leise gesagt: »Wage es nicht, mir da was zu vermasseln.«
Dennoch hatte Treeske mit dieser Frau geredet. Die Zeiten, in denen sie Lukas Feller bedingungslos gehorchte, waren vorbei. Hätte sie allerdings geahnt, daß er wenige Wochen später frei sein würde, hätte sie es nicht getan.
Was, wenn die Lehrerin ihren Mund nicht gehalten hatte? War er deshalb hier? Um sie zu bestrafen?
Jedenfalls war es sinnlos, hier tatenlos und wie gelähmt vor Schreck stehenzubleiben. Wenn er zu ihr wollte, würde ihn dieses bißchen Holz und Glas zwischen ihnen nicht aufhalten.
Sie öffnete die Tür und trat einen Schritt zurück. Sie blickten einander lauernd an.
»Abendessen?« bemerkte er endlich und
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