Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Klischees in den Sinn. Sein Haar sah zerzaust aus, als wäre er gerade erst aus dem Bett gesprungen. Es war ursprünglich wohl dunkelblond gewesen. Leicht versilbert lichtete es sich nun über den Schläfen. Sein Gesicht hätte eine Rasur vertragen. Er trug braune Kordhosen und ein weißes T-Shirt. Eine dunkelbraune Weste kaschierte den Bauchansatz nur unzureichend.
Seehafer bot ihr eine Tasse Kaffee an, aber nach einem Blick auf die Kaffeemaschine lehnte Mathilde dankend ab.
»Eine gute Entscheidung. Er schmeckt verheerend.«
»Warum trinken Sie ihn dann?« Sie zeigte auf die benutzte Tasse, die einen Stapel Akten krönte.
»Sucht und Bequemlichkeit.«
Mathilde setzte sich ihm gegenüber vor den Schreibtisch, auf dem das schiere Chaos herrschte. Hinter Seehafers Kopf hing ein Kalender mit einem Hundefoto und einer Reklame für Tiernahrung.
Nach der unvermeidlichen Beileidsbezeugung kam er zur Sache: »Wie die Kollegen vom Kriminaldauerdienst schon vermutet haben, steht nun fest, daß es sich um eine Gasexplosion handelte. Sie wurde durch bereits ausgetretenes Gas und das Hinzukommen einer offenen Flamme ausgelöst. Die Experten von der Brandermittlung können die Ursache des Gasaustritts allerdings nicht genau feststellen. Die Gasflasche war intakt. Entweder war der Ofen nicht in Ordnung, oder, was wahrscheinlicher ist, die Leitung, die von der Gasflasche zum Heizgerät führte.«
Er schwieg, als wolle er Mathildes Reaktion abwarten.
Hätte ich ihr nur einen neuen Elektro-Ofen besorgt, dachte Mathilde und sagte: »Also war es ein Unfall?«
»Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß an der Leitung oder am Ofen manipuliert wurde«, antwortete Seehafer.
»Manipuliert?« Ein Mord also? Wer sollte Franziskas Tod gewollt haben?
»Das Haus gehört Ihnen?«
»Ja.«
Der Polizist hatte gründlich recherchiert. Nun, das war schließlich sein Beruf.
»Ihre Mutter hatte ein lebenslanges Wohnrecht.«
»Ja. Und?«
»Das heißt, Sie können das Haus verkaufen, jetzt, da sie tot ist.«
»Ja, richtig«, antwortete Mathilde verdutzt. »Ist das ein Motiv?«
»Nun, ja. Es kommt ganz darauf an …«, antwortete der Ermittler.
»Natürlich, Sie verdächtigen mich. Und da ich Physik unterrichte, verstehe ich bestimmt auch etwas von Gasleitungen«, kombinierte Mathilde. Glaubte dieser Mensch allen Ernstes, sie habe ihre Mutter wegen einer schäbigen Immobilie getötet?
Der Hauptkommissar ging nicht auf Mathildes Worte ein, sondern sagte: »Es gab zudem eine Lebensversicherung. Die Summe von knapp sechzigtausend Euro ist Anfang des Jahres auf das Girokonto ihrer Mutter ausbezahlt worden …«
Offenbar gelang es Mathilde nicht, ihre Überraschung zu verbergen. Jetzt erinnerte sie sich vage an eine Versicherung, allerdings hatte sie stets angenommen, Franziska hätte den Vertrag längst vorzeitig aufgelöst.
»Wußten Sie das nicht?« fragte Seehafer.
»Doch, doch«, log Mathilde.
»Dann können Sie uns sicherlich sagen, wo das Geld abgeblieben ist.«
»Nein. Warum? Ist es weg?«
»Es wurde am 18. Mai abgehoben und bar ausgezahlt. Drei Wochen vor ihrem Tod.«
»Davon weiß ich nichts«, sagte Mathilde.
»Das glaube ich Ihnen sogar«, antwortete Seehafer. »Aber wo ist das Geld?« sprach er ihre Gedanken aus.
»Vielleicht …«, begann Mathilde und verstummte wieder.
»Was?«
Sie biß sich auf die Unterlippe.
»Wenn Sie etwas zu sagen haben, ist jetzt der Zeitpunkt dafür«, mahnte Seehafer.
»Ich möchte niemanden falsch verdächtigen.«
»Ob richtig oder falsch, entscheiden dann schon wir. Also, raus damit«, verlangte Seehafer und wirkte plötzlich sehr autoritär.
»Sie hatte einen neuen Freund, seit ein paar Monaten. Er heißt Erich Kunze.«
Seehafer nickte und kritzelte etwas auf einen Notizblock, während Mathilde hinzufügte: »Vielleicht weiß er, wo das Geld sein könnte. Er ist Mitglied einer Freikirche.«
Mathilde fühlte sich elend. Er war der erste Mann gewesen, der einen guten Einfluß auf Franziska ausgeübt hatte, und zum Dank dafür schwärzte sie ihn bei der Polizei an. »Bitte sagen Sie ihm nicht, daß ich …« Sie unterbrach sich. Mein Gott, Mathilde! Wo Verrat ist, ist Feigheit nicht weit.
Unvermittelt fragte der Kommissar: »Frau Degen, wissen Sie, wo Ihr Mann in der Nacht vor dem Tod Ihrer Mutter war?«
»Ja. Zu Hause, mit mir zusammen. Die ganze Zeit.«
»Wann haben Sie am Morgen die Wohnung verlassen?«
»Um sieben.«
»Und Ihr Mann?«
»Der war noch im Bett.« Der
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