Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Schulleiter der staatlichen Gymnasien müßten sich die Finger nach dir ablekken. Du kennst doch bestimmt einige aus Hannover und dem Umland.«
»Schon, aber du weißt ja, daß gewisse Vorbehalte der Beamten gegen die Lehrkräfte privater Schulen existieren.«
»Nicht alle denken so«, widersprach Leona.
»Einige würden mich sicher gerne nehmen, aber die Schulleiter können leider nicht allein über ihr Lehrpersonal bestimmen. Diverse Kollegien aus Lehrern, Eltern- und Schülervertretern haben ein gewichtiges Mitspracherecht. Genug Leute also, die Bedenken dabei haben, die Frau eines Häftlings auf Kinder loszulassen. Zumindest, solange seine Unschuld nicht erwiesen ist.«
»Du hast dich doch bestimmt auch außerhalb Hannovers beworben.«
»So was spricht sich blitzschnell herum. Möchte nicht wissen, was in letzter Zeit auf den Fortbildungen über mich getratscht wurde.«
»Du findest eine neue Stelle, da bin ich ganz sicher«, sagte Leona.
»Aber ja, ich komme schon irgendwo unter«, höhnte Mathilde. »Notfalls da, wo Jugendbanden Ausländer hetzen und alle schlechte Laune haben.«
Sie schlängelten sich schweigend durch den Verkehr.
Dann fragte Leona: »Wann zieht ihr denn nun aus?«
»Am letzten Wochenende im Juli. Ab ersten August gehört die Wohnung Keusemanns, so steht es im Notarvertrag.«
»Mein Gott, so schnell. Und wohin?«
»Vorerst in das Haus meiner Mutter. Das ist die kostengünstigste Lösung.«
»Was sagt Lukas dazu?«
»Was soll er schon sagen? Er ist ja nicht unbeteiligt an der ganzen Misere. Wäre ich an diesem gottverdammten Tag doch nur eine Stunde später zum Kardiologen gegangen!« brach es aus Mathilde heraus.
Leona sah sie verwundert an.
»Schau bitte auf die Straße.«
»Das klingt, als würdest du etwas bereuen.«
»O ja. Und wie ich das tue«, stöhnte Mathilde. »Ohne ihn wäre mein Leben noch in Ordnung.« Und Franziska wäre wahrscheinlich nicht tot, fügte sie in Gedanken hinzu.
Leona hatte einen Abschiedsumtrunk im Lehrerzimmer nach der sechsten Stunde geplant, aber Mathilde sagte ihr in der Pause, daß sie sich das lieber ersparen wollte.
Am Ende der Physikstunde überreichte Lennart Schuster, der Sprecher ihrer Klasse, Mathilde einen riesigen Blumenstrauß, für den die Klasse gesammelt hatte. Auf der Karte, die darin steckte, stand: »Liebe Frau Degen, wir wissen, was wir an Ihnen hatten. Alles Gute.« Mathilde bedankte sich und drückte jedem Schüler einzeln die Hand. Dann zog sie ihren Hut tief ins Gesicht und ging rasch aus dem Klassenzimmer.
Ja, heul nur, sagte sie sich zornig, als sie das Schulgebäude nahezu fluchtartig durch den Hinterausgang verließ. Beweine deine grenzenlose Dummheit.
Den Abend dieses traurigen Tages verbrachte Mathilde vor dem Fernseher. Sie war allein, was sie nicht bedauerte. Lukas war häufig außer Haus. Sie fragte ihn nie, wohin er fuhr oder wo er gewesen war. Bei einer Frau? Gut möglich. Seit einigen Wochen herrschte eine gewisse Monotonie in ihrem Paarungsverhalten. Eine andere Frau würde manches erklären, überlegte Mathilde. Dennoch war sie noch nicht so weit gegangen, in seinem Zimmer herumzuschnüffeln oder seine Taschen zu durchwühlen. Zum einen, weil ihr solche Handlungen zuwider waren, zum anderen, weil ihr klar war, daß man bei Lukas wohl kaum mit den üblichen Nachlässigkeiten rechnen durfte. Dazu war er viel zu abgebrüht.
Sie hatte jetzt keine Angst mehr um ihn, wenn es abends spät wurde. Im Gegenteil. Sie wünschte sich, daß er mit dem Porsche gegen einen Baum fuhr. Da dieses Ereignis nicht eintreten wollte, hoffte Mathilde zusätzlich, daß man ihn nach seinem Prozeß wieder einsperren würde.
In einem Grab, sinnierte sie, wäre er allerdings noch besser aufgehoben als in einer Zelle.
Mathilde sah in letzter Zeit mehr fern als früher. Der Beginn der geistigen Verwahrlosung, Mathilde Degen, tadelte sie sich, aber ganz so war es nicht. Beim Fernsehen ließ sie ihre Gedanken schweifen. Eben hatte sie entsetzt resümiert: Der Liebesrausch ist vorüber, ich lebe mit einem Mann zusammen, dem ich den Mord an meiner Mutter zutraue und dessen Tod ich herbeisehne.
War das die Persönlichkeitsveränderung, von der die Psychologin gesprochen hatte? Unsinn, dachte sie, meine Persönlichkeit ist noch so, wie sie war. Ich bin lediglich am Grund meines selbstgewählten Niederganges angelangt, das ist alles.
Gerade lief ein Interview mit einer Frau ihres Alters. Seit Anfang des Jahres die Hartz-IV-Gesetze in
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