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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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etwas aufmachst, beeilst du dich, es bei der ersten Enttäuschung schnell wieder zu schließen, und das war fast das erste Mal, daß er etwas sagte, was mit mir zu tun hatte, nicht mit seiner Welt, und es verwirrte mich ein wenig, wieso mischte er sich in meine Angelegenheiten, und ich fragte zornig, was meinst du damit, ich weiß es selbst nicht, sagte er, es ist nicht eine bestimmte Einzelheit, es sieht insgesamt so aus, statt dich auf das Leben zu stürzen wie eine Pariserin, versteckst du dich, kommst von Zeit zu Zeit aus deiner Höhle und kehrst sofort wieder zurück. Das ist natürlich dein gutes Recht, jeder Mensch ist verantwortlich für seinen Weg, aber dich frustriert es, man sieht es dir an, es reicht dir nicht, dich in einer Höhle zu verkriechen, du willst mehr, aber dafür muß man Gefahren eingehen, und du wagst nichts.
    Ich gehe Gefahren ein, sonst wäre ich nicht hier, versuchte ich mich zu verteidigen, und er tat meinen Einwand geringschätzig ab, du redest schon wieder von Details, es kommt nicht darauf an, wo du eine oder zwei Nächte deines Lebens verbringst, sondern darauf, wie du dein ganzes Leben organisierst, ob du es beherrschst oder von ihm beherrscht wirst, und ich zog mich geschlagen zusammen, so gerne wollte ich die beherrschende Frau sein, die er beschrieb, die von keinem Mann abhängig ist, die keine Gewinn- und Verlustrechnungen aufstellt, die keinen Preis für Sicherheit bezahlt, die ihren eigenen Weg geht, ich stellte mir eine starke Zukunft vor, ohne Joni, der mich schwächte mit seiner ständigen Aufpasserei, ohne Arie, in einer kleinen Dachwohnung, denn unsere Wohnung war wirklich wie eine dämmrige Höhle, ich mußte aus ihr raus in eine andere, die mir alles von oben zeigte, das ganze Bild, und nicht nur die kleinen Details, von denen ich mich immer so ablenken lasse, und ich werde schlafen, mit wem ich will, und nicht mit dem, der verspricht, mich immer zu lieben, und von Zeit zu Zeit auch mit Arie, und mein Körper, dieser Körper, von dem ich noch nicht wußte, was mit ihm war, was er für mich bedeutete, würde ein eigenes Leben führen, ein wildes, geheimnisvolles Leben, er wird mein Pferd sein und ich werde auf ihm reiten, und ich werde keine Angst haben.
    Einen Moment lang war ich erschlagen von dem Bild, das scharf und klar vor mir stand, aber sofort versank ich wieder, wie jedesmal, wenn ich versucht hatte, etwas zu malen, immer hatte ich ein wunderbares, vollkommenes Bild im Kopf, doch auf dem Weg zum Papier löste es sich auf, und es kam nur jämmerliches Kritzeln heraus, es war einfach die Diskrepanz zwischen dem Zauber der Vision und der Realität. Ich sah mich selbst, allein in einer kalten Dachwohnung, mit einem Telefon, das nie läutet, außer wenn meine Mutter anruft, und manchmal kommt Joni mit seiner neuen Frau zu Besuch, und sie bringen mir die Reste von ihrem Tscholent mit, und ich esse ihn, ohne ihn aufzuwärmen, und meine Tränen fallen in den Teller. Und eine Welle von Selbstmitleid ergriff mich, dann Zorn auf ihn, wer war er überhaupt, daß er mein Leben ändern wollte, und leise sagte ich, auch du warst die ganzen Jahre verheiratet, auch du warst eingeschlossen, und er sagte in demselben gönnerhaften Ton, du hast mich nicht verstanden, was hat das mit Ehe zu tun, es geht um deine Auffassung von dir selbst, die Ehe ist zweitrangig, man kann allein sein und sich verschließen, und man kann verheiratet sein und offen, die Frage ist, welche Bedürfnisse du hast, was du wählst, wie du dein Leben führst, die Frage, ob du auf ewig wie eine Schülerin sein willst, die sich vor ihrem Lehrer fürchtet, da und dort mal den Unterricht schwänzt, aber immer aufpaßt, ein unschuldiges Gesicht zu machen, damit man ja ihren Eltern nichts sagt, oder ob du selbst die oberste Autorität für dein Leben bist, im Guten wie im Schlechten, in jeder Hinsicht. Mir scheint, du versuchst die ganze Zeit, eine imaginäre krumme Linie gerade zu machen, um nicht zu sehr aus dem Rahmen zu fallen, um keinen zu hohen Preis zu bezahlen, vielleicht klappt es ja mit ein paar Reparaturen, aber sein ganzes Leben so zu verbringen ist schade. Glaub mir, fügte er hinzu, ich stehe hier nicht zur Debatte, ich versuche nicht, dich dazu zu überreden, irgendeine Unterrichtsstunde zu schwänzen, ich sehe dich einfach, obwohl du meinst, daß ich nur mich sehe, und du tust mir leid.
    Zusammengesunken saß ich neben ihm, mit schmerzendem Rücken, eine kalte Hand packte mich an allen Muskeln, und

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