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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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Berechtigung, auch ich wäre froh gewesen, mich aus ihm entfernen zu können, aber ich hätte nicht gewußt, wohin, dieses Leben gehörte nur mir, es kam noch vor einem eigenen Zimmer, dieses eigene Leben. Und je mehr er versuchte, mir mein Leben zu öffnen, um so mehr spürte ich, wie verschlossen es war, voller Achtung vor den verlorenen Dingen, und das Atmen fiel mir schwer, und er sagte, wir müssen schlafen, Ja’ara, es ist schon fast Morgen, und tatsächlich drang aus den Ritzen der Rolläden ein stumpfes violettes Licht ins Zimmer, kalt und hochmütig, und ich streckte mich neben ihm aus, meine Schulter unter seiner Achsel, an dem verbrannten Schweiß reibend, und er überraschte mich mit einer angenehmen Umarmung, und sein ganzer Körper war weich und süß wie ein warmer Grießbrei an einem Wintermorgen.
    Bald ist es Sommer, sagte ich, und er sagte, stimmt, und ich sagte, ich hasse den Sommer, und er sagte, ja, ich auch, ich hasse auch den Winter, sagte ich, wenn man sich die Zukunft in der Terminologie verschiedener Jahreszeiten vorstellt, scheint sie mir hoffnungslos zu sein, und er seufzte, ja, auch in anderen Terminologien, und das Licht in den Ritzen im Rolladen wurde heller und heller, und ich dachte, daß wir für immer hier bleiben müßten, im Bett, vor dem heruntergelassenen Rolladen, hilflose Flüchtlinge vor dem wechselnden Wetter, und ich versuchte einzuschlafen, aber es gelang mir nicht, sein Atmen machte mich nervös, sogar wenn er wach war, schnarchte er, und ich war sauer auf ihn, weil auch er den Sommer haßte, und den Winter auch, diese neue schicksalhafte Gemeinsamkeit zwischen uns bedrückte mich, als würde sie die Jämmerlichkeit verdoppeln, als würden wir beide belagert und um uns herum tobten Wüstenwinde und Regenfälle, von denen wir nur durch herzförmige Gitterstäbe getrennt waren.
    Ich sah, wie er sich erhob und zur anderen Bettseite beugte, zu meiner, sozusagen, zum Telefon, und ich stellte mich schlafend und hoffte, ihn auf frischer Tat zu erwischen, bei einem Liebesgespräch, doch statt dessen nahm er eine der Pralinenschachteln, ich hörte, wie er das Zellophanpapier abriß und die Schachtel öffnete, und dann war nervtötendes Saugen und Schmatzen zu hören, ein lächerliches Geräusch, da machte er sich zu jemandes geistigem Hirten, und am Schluß saugte er seine Schlüsse aus der alten Schokolade, die seine Frau vor ihrem Tod nicht aufgegessen hatte, und dann tat er mir leid, weil er nicht einschlafen konnte, vermutlich trauerte er wirklich, und man sah es nachts mehr als am Tag, und wieder hatte ich das Gefühl, Leid zu trinken, ich hielt das zerbrochene Bierglas in der Hand und trank, und dann hörte ich ein Knacken, ein zartes, aber scharfes Geräusch, und ich sah, wie er fluchend zum Waschbecken rannte und spuckte, und sofort rannte ich ihm nach, wir standen vor dem braunen Matsch im Becken, und er suchte nervös darin herum und fluchte und spuckte weiter, diese Idioten, zu faul, die Kerne aus den Kirschen zu nehmen, ich werde sie zur Verantwortung ziehen, ich werde ihnen zeigen, was das heißt, bis er aus dem Brei das Stück eines gelblichen, nikotinfleckigen Zahns zog, dann sperrte er vor dem Spiegel den Mund auf, und im Licht des Morgens sah es aus, als wäre die Verzerrung seiner dicken, verwirrend dunklen Lippen mit dem abgebrochenen Schneidezahn die tragische Umkehr des jugendlichen, selbstsicheren Lächelns, das mir von seinen Fotos entgegengeblickt hatte.
    Er wusch sich das Gesicht und den Mund, spritzte mit Wasser um sich und hörte nicht auf zu fluchen, seine dunkle Zunge tastete wieder und wieder über das Loch, das plötzlich in seinem Mund entstanden war, versuchte, es zu verstecken, und deshalb klangen alle Flüche und Drohungen lächerlich, wie bei einem siebenjährigen Jungen, dem die Milchzähne ausfallen, und er drohte mit einer Schadensersatzklage, du wirst schon sehen, um acht Uhr rufe ich meinen Rechtsanwalt an, das lasse ich mir nicht gefallen, das sage ich dir, als hätte ich irgendeinen Zweifel geäußert, dann lief er zum Schlafzimmer zurück und betrachtete die Schachtel und machte das Licht an, vermutlich um besser lesen zu können, daß da tatsächlich ein Hinweis auf der Packung stand, daß bei diesen Pralinen Kirschen mit Steinen verwendet wurden, voller Abscheu warf er die Schachtel von sich, und die kleinen runden Pralinen verstreuten sich auf dem Bett und dem Boden. Ich lag auf dem Bett, und eine Praline rollte unter meinen Arm, als

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