Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
ich konnte mich nicht bewegen, denn ich wußte, daß er recht hatte, aber was sollte ich damit anfangen, ich stand vor einem großen Durcheinander und ich wußte nicht, wo ich mit dem Aufräumen beginnen sollte und ob mein Leben überhaupt dafür reichen würde oder ob es besser wäre, es gar nicht erst zu probieren, ich haßte ihn, weil er sich so grob in meine Angelegenheiten gemischt hatte, als hätte er mich ohne mein Wissen fotografiert, als ich im Badezimmer auf dem Klo saß und mir in der Nase bohrte, und würde mir jetzt das Bild hinhalten und sagen, das bist du, sag selbst, ob man dich lieben kann oder nicht. Wer war er überhaupt, wie konnte er es wagen, was wollte er erreichen, und er sagte, weißt du, ich habe mir deinen Vater heute genau angeschaut, als er erzählte, du wärst in Istanbul, in den Flitterwochen, und ich hatte große Lust, ihn an der Hand zu nehmen, mit ihm zum Schlafzimmer zu gehen und die Tür aufzumachen und zu sagen, schau, Schlomo, sie ist hier, aber das geht dich nichts an, und ihn dann ins Wohnzimmer zurückzuführen und das Gespräch fortzusetzen, als wäre nichts passiert, und ich bin sicher, er hätte es geschluckt, du kannst mir glauben, das wäre nicht der erste Frosch, den er geschluckt hatte, du wirst dich noch wundern, was für ein Schluckvermögen die Menschen besitzen.
Aber dann hätte er nicht hier sitzen und verkünden können, er sei ein glücklicher Mensch, sagte ich, und Arie machte eine geringschätzige Bewegung mit der Hand, Blödsinn, er hätte es genauso verkündet, auch wenn du gestorben wärst, kapierst du das nicht? Er ist glücklich, weil er beschlossen hat, glücklich zu sein, nicht weil ihm das Leben einen besonderen Rabatt eingeräumt hätte, du weißt doch, daß das nicht so ist. Sein Glück hat nichts mit dir zu tun, es hat nichts damit zu tun, ob du gut verheiratet bist und deinen Urlaub in Istanbul verbringst, es hat überhaupt nichts mit dir zu tun, und es ist nicht deine Aufgabe, vor ihm Sachen zu verbergen, um ihn glücklich zu machen, und dasselbe gilt für deine Mutter und erst recht für deinen Mann. Die Wahrheit ist der Frosch, den die Menschen im allgemeinen relativ leicht schlucken, halte ihn nicht davon fern, und ich sagte, es ist nicht nur so, daß ich mich verantwortlich fühle für ihr Glück, ich habe auch Angst, die Folgen zu tragen, und er sagte, ja, das ist ein bekanntes Dilemma, aber nur scheinbar, denn wenn jemand nicht bereit ist, dich so zu akzeptieren, wie du bist, wird er ohnehin auf die eine oder andere Art verschwinden, schließlich kann man sich nicht ewig verstellen.
Aber ich weiß gar nicht, wie ich bin, sagte ich, morgens bin ich mutig und abends ein Angsthase, morgens will ich die Welt auf den Kopf stellen und abends möchte ich einen Mann, der auf mich aufpaßt, und er sagte, dann such dir einen Mann, der bereit ist, abends auf dich aufzupassen und dich morgens freiläßt, vergiß nicht, daß alles möglich ist, die Welt ist offener, als du es dir vorstellst, sie ist ein einziges großes Tor, glaub mir, und ich reagierte gereizt, er sprach wie ein Renovierungsfachmann, so nachdrücklich und selbstsicher, reißen Sie diese Wand hier ein, verlegen Sie das Badezimmer dorthin, als ob es um Steine ginge und nicht um ein dermaßen kompliziertes, schwieriges und schwebendes Material wie die Seele. Wie konnte er so sprechen, oder war ich wirklich diejenige, die sich irrte, und man mußte wirklich leben, als sei man aus Stein, das Leben nach den wechselnden Bedürfnissen einrichten und nicht zulassen, daß uns irgend jemand dabei stört, und mir fiel ein, wie sie über mich gelacht hatten, als ich in der dritten oder vierten Klasse war und die Lehrerin fragte, welche inneren Organe ein Mensch habe, und ich sagte, die Seele.
Ich betrachtete sein breites, von der kleinen Lampe nur schwach erhelltes Gesicht mit den halb geschlossenen Augen, die Lippen, die gierig an dem Trost saugten, und alles kam mir gleichermaßen unmöglich und unerträglich vor, ich trank und trank das Leid aus einem großen Glas, ich trank und trank, denn mir war völlig klar, daß er sich nicht als Teil meines Lebens sah, sondern als Innenarchitekt, der kam, um eine Wohnung zu renovieren, in der er nicht sein eigenes Zuhause sah und auch keinesfalls wohnen wollte, und natürlich sah auch Joni im fernen Istanbul sich selbst nicht mehr als Teil meines Lebens, und es stellte sich heraus, daß niemand mehr an meinem Leben teilnahm, mit einer gewissen
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