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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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nicht das laute, fordernde Klopfen meiner Mutter, und trotzdem wagte ich nicht, mich zu bewegen, und vor lauter Angst, ertappt zu werden, zog ich mir die Decke über den Kopf und hielt mir die Ohren zu, und durch die Hindernisse hindurch hörte ich eine verrauchte Stimme meinen Namen rufen, und ich sprang auf, machte die Tür einen Spaltbreit auf und sah ihn im Treppenhaus stehen und rauchen, ein Stück von der Tür entfernt, schon dabei zu gehen, in einem jugendlichen Matrosenhemd, schmale Streifen in Blau und Weiß, das Gesicht heller durch die Bartstoppeln, und als er mich sah, warf er die Zigarette auf den Boden, zertrat sie und kickte die Kippe nach draußen, in den vernachlässigten Vorgarten des Hauses, und ich stand da, an die Tür gelehnt, und bewachte den schmalen Spalt, der es ihm kaum ermöglichen würde, sich hereinzudrängen, ohne mit dieser Beule, die er in seiner Hose versteckt hatte, über meine Hüfte zu streichen.
    So oft hatte ich mir vorgestellt, wie wunderbar es wäre, wie tröstend, ihn vor meiner Tür stehen zu sehen, wie er anklopfte, mich mit seiner ganzen breiten Anwesenheit zu sich rief, mit seinen glänzenden Fingern, mit den wohlgeformten Händen, mit seiner Oberbekleidung und den Unterhosen, mit seinen schmalen Augen, die sich weiter voneinander entfernten, wenn er lächelte, und wieder zusammenrückten, wenn er ernst wurde, und jetzt rückten sie zusammen, denn sein Lächeln verschwand, sein Begrüßungslächeln, und er sagte, ich wollte nur nachschauen, ob alles in Ordnung ist und ob du heil angekommen bist, und ich antwortete nicht, ich klammerte mich mit aller Kraft an meinen Siegespokal, er war schön, aber schwer, ich konnte ihn kaum halten, und dann sagte ich, ich bin angekommen, ich bin hier, als ob er das nicht selbst sehen konnte, und ging langsam in die Wohnung, ohne ihm den Rücken zuzukehren, und er folgte mir, noch nie war er hier gewesen, mir kam es seltsam vor, ihn hier zu sehen, er gehörte nicht hierher.
    Wie kann ich ihn hier empfangen, wo ich doch selbst nur zu Gast bin, dachte ich, diese Wohnung gehört zu meinem früheren Leben, aber ein neues habe ich nicht, also habe ich keinen Ort, zu dem ich ihn bringen könnte, ich habe zur Zeit kein Leben, und schon wurde ich wütend, was drängte er sich plötzlich herein, und dann, ein süßes Glück, er will mich, will mich, aber in einer Stunde wird er es leugnen, überhaupt hier gewesen zu sein, und ich dachte daran, was seine Schwester zu mir gesagt hatte, und diese Worte nagten an meinem Säckchen voll Glück, und es lief aus, klebrig und zäh, so wie Ameisen es mögen, und er sagte, meine Schwester schickt mich her, wie ein kleiner Junge sagte er das.
    Was war an dieser Wohnung, daß jeder, der über die Schwelle trat, sofort wie ein kleines Kind zu sprechen begann, gleich wird er mich Wühlmäuschen nennen, und ich ihn Biber, und ich fragte, warum, und er sagte, sie glaubt, etwas sei nicht in Ordnung mit dir, du würdest dich nicht wohl fühlen, und ich wunderte mich, warum hatte sie ihn geschickt, wo sie mich doch davor gewarnt hatte, zu ihm zurückzukehren, vielleicht war das eine Falle, und sie wartete hinter der Tür, stellte mich auf die Probe, ob ich auch wirklich mit kalter Stimme antwortete und ihn nach Hause schickte, aber seine Anwesenheit hier war mir so überraschend, daß ich nicht auf sie verzichten konnte, wie ein gerade erst ausgepacktes Spielzeug stand er vor mir, aufrecht, gut riechend und unbenutzt, mit diesem albernen gestreiften Hemd, einem abgebrochenen Zahn und diesen Bartstoppeln, wieso bemerkte ich die eigentlich erst jetzt, und ich brannte darauf, das Spielzeug anzufassen, herauszufinden, wie es funktionierte, so lange hatte ich darauf gewartet, und wir standen an der Tür, ich hatte keine Lust, ihn ins Wohnzimmer zu führen, und auch er drängte nicht, er stand nur aufrecht an der Tür und lächelte, fast war es das Lächeln, das ich von seinen Jugendbildern kannte, und wir sahen uns an, als wären wir taubstumm, jeder behielt seine Eindrücke für sich, und dann sagte er, du wirst bestimmt gerne etwas essen, nachdem ich dich drei Tage habe hungern lassen, und ich wunderte mich, wieso, du sitzt doch Schiwa?
    Und er lachte abfällig, und ich sagte, aber wenn Leute zu dir kommen, was werden sie denken, und er fuhr sich mit der Zunge über den Zahn und sagte, sie werden denken, ich wäre zum Zahnarzt gegangen, außerdem ist Ajala dort, und meine Schwiegermutter und all die anderen. Und was ist

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