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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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bedauern, aber das beruhigte mich nicht, ich wollte unbedingt wissen, wer, ich wollte wissen, wem ich mein Mitleid schenken sollte, und weil in der Zeitung gestanden hatte, sie sei Studentin, verdächtigte ich jede meiner damaligen Kommilitoninnen, sogar Neta hatte ich eine Zeitlang im Verdacht, bis ich herausfand, daß sie keinen Vater hatte. Nun überlegte ich wieder, was damals passiert war, vor meiner Geburt, in seiner geliebten, begeisternden Vergangenheit, der einzigen Zeit, die ihn interessierte, die Landschaften seiner Kindheit, die Freunde seiner Jugend, seine ersten Studienjahre, die Mietwohnungen, es war unmöglich, mit dieser Vergangenheit zu konkurrieren, zu meinem Pech konnte ich nicht daran teilhaben, sondern nur an der grauen, enttäuschenden Gegenwart, und ich dachte, daß ich vielleicht morgen, um neun oder um fünf nach neun, Arie Even nach dieser Vergangenheit fragen würde, nach dieser himmelhohen, lebendigen Vergangenheit meines kleinen, müden Vaters, aber daraus wurde nichts, denn auf dem prachtvollen Sofa in seinem Wohnzimmer, auf dem harten, schmalen Handtuch, das er sorgfältig unter uns ausbreitete und das die Grenzen seiner Bewegungsfreiheit festlegte, vergaß ich es, und erst ein paar Wochen später, auf dem Weg nach Jaffo, fiel es mir wieder ein.

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    4
    Im Spiegel über dem Waschbecken in seiner Wohnung, dort, wo ich dickköpfig zwei dicke, lange Haare gelassen hatte, hatte ich blaß ausgesehen, fast anämisch, aber hier im Laden, zwischen den Kleiderbügeln, strahlte ich, meine Wangen waren rot, und meine Augen glühten rachedurstig, denn das war meine Rache an ihm, wegen seiner distanzierten Bewegungen, seiner wenigen Worte, er hatte mehr in meine Kehle gehustet, als daß er mit mir sprach, ein heiserer Raucherhusten, hoffnungslos, automatisch.
    Zu meiner Freude war die Verkäuferin von damals nicht da, sondern eine junge Frau, die nur mit Mühe zurechtkam, und ich wühlte zwischen den aufgehängten Kleidern, und es war wirklich da, mein weinrotes Kleid, das ich einmal so ersehnt hatte, und jetzt wollte es keiner mehr haben, ich nahm es mit in die enge Kabine, spürte die Erregung am ganzen Körper, genau wie am Morgen, doch in dem Moment, als ich sein gleichgültiges Gesicht vor mir hatte, war sie verschwunden, diese Erregung, hatte sich versteckt wie ein Tier, das man geschlagen hat, und kam erst wieder hervor, als sie mit mir alleine war, fürchtete sich nicht mehr.
    Der verbrannte Geruch seines Körpers stieg von mir auf, als ich mich auszog, der Duft seines teuren After-shaves, der seltsame, abstoßende Geruch unfruchtbaren Samens, und dann wurden all diese Düfte von dem schönen samtigen Kleid bedeckt, und ich fühlte seine Schönheit, obwohl es in dieser winzigen Kabine, die uns einmal beide eingeschlossen hatte, mich und ihn, keinen Spiegel gab.
    Voller Sehnsucht dachte ich an seinen konzentrierten, schmerzlichen Blick, der nicht war wie der kalte, geschäftsmäßige, mit dem er mir morgens die Tür geöffnet hatte, was gab es hier, was ihn schmerzte, vielleicht die Nähe des jungen Mädchens mit den roten Haaren, das ich nicht vergessen konnte. Über das Kleid zog ich meinen blauen Pullover und die weiten Jeans, und Erregung und Vergnügen packten mich, als ich aus der Umkleidekabine kam, und statt gleich wegzugehen, trieb ich mich in dem Laden herum, suchte zwischen den Kleiderbügeln, genau wie ich es damals getan hatte, in meinem ersten Leben, nachdem mein kleiner Bruder gestorben war und ich mit meiner Mutter durch die bedrückenden Straßen jener Kleinstadt lief. Wie kann man dich trösten, Mama, hatte ich sie gefragt, und sie hatte mich mit ihren vor Trauer wahnsinnigen Augen angeschaut und kein Wort gesagt, und einmal waren wir an einem Schaufenster vorbeigegangen, in dem ein sehr weibliches, besticktes Kleid hing, so wie sie es mochte, und ich sagte, vielleicht wird dich das Kleid trösten, Mama, und ging in den Laden, und sie saß draußen auf einer Bank und wartete auf mich, und ich zog das Kleid zwischen den anderen Kleidern hervor, wie ich es nun tat, damals war ich ungefähr zehn, aber sehr groß, und mit Absicht war ich länger im Laden herumgelaufen, um die Spannung auszudehnen, und als ich zu ihr hinauskam, gab ich ihr die Hand, und wir fingen an zu rennen, wie verrückt lachend, die Ärmel des Kleides blitzten unter meinem Mantel hervor, und ich fragte, tröstet dich das, Mama, und sie sagte nicht ja, aber auch nicht nein, und am Abend zog sie das Kleid für

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