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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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gelassen, mein Vater, und besonders darauf bedacht, was wohl die Leute sagen würden, immer hatte er meine Mutter, die um Längen lauter als er war, zum Schweigen gebracht, und plötzlich war da diese völlige Gleichgültigkeit gegenüber der Meinung der Leute. Dabei liebte er Katzen noch nicht mal, nie streichelte er sie und forderte uns immer böse auf, uns die Hände zu waschen, wenn wir eine Katze berührt hatten, und nun sah die ganze Nachbarschaft, wie er wegen eines Kätzchens durchdrehte.
    Ich war ihm nachgelaufen, hatte mich aus Angst, er könne mich sehen und seinen Zorn gegen mich richten, in den Büschen versteckt und sah ihn nun herauskommen, eingehüllt in ihre Küchengerüche, sah, wie er sich neben dem Akazienbaum nach vorn beugte, sich erbrach und weinte.
    Auch damals war ich nicht zu ihm gegangen. Es bereitete mir eine seltsame Freude, ihn so offen leiden zu sehen, immer hatte ich so etwas wie Leiden bei ihm gespürt, ein dumpfes, innerliches, unausgesprochenes Leiden, so tief und unerreichbar, daß es keinen Weg gab, ihm zu helfen, und plötzlich wurde dieses ganze Leiden sichtbar, wie ein umgedrehter Mantel, an dem man die Nähte und das Futter sah, plötzlich war alles dem Licht dieser matten Wintersonne ausgesetzt und erweckte in mir die Hoffnung, in Zukunft einen anderen Vater zu haben, einen fröhlichen Vater, denn alles Leiden, das sich in ihm angesammelt hatte, war hervorgebrochen und versickerte in der Erde. Ich wartete darauf, daß er fertig wurde und nach Hause ging, rot und stinkend, und ich beobachtete ihn hoffnungsvoll den ganzen Tag, nur um zu sehen, was sich in ihm verändert hatte, aber er verließ kaum sein Zimmer, wollte noch nicht mal mit uns zu Abend essen. Abends konnte ich nicht einschlafen, ich hörte ihn die ganze Zeit wimmern, als wäre er es, der das Kätzchen verschlungen hatte, und nun wimmerte es in seinem Inneren. Gegen Morgen begann ich zu grübeln, wo es eigentlich war, das angefressene Kätzchen. Hatte er es dort gelassen, auf dem vollen Teller des Nachbarn, zwischen dem Schnitzel und den Erbsen, oder hatte er es vielleicht wirklich verschlungen, um das Werk des Hundes zu vollenden, und hatte deshalb neben dem Baum gekotzt, und ich wurde von einer solchen Enttäuschung gepackt, daß ich fast weinte, denn dieses neugeborene Kätzchen hatte mir gehört, und einen Moment lang kam es mir vor, als habe mein Vater für mich gekämpft, und erst als es hell wurde, wurde mir klar, daß es sich vermutlich um einen anderen Kampf gehandelt hatte, einen geheimen, von dem ich nie etwas erfahren würde.
    Am Morgen ging ich zu dieser riesigen Akazie und wühlte dort zwischen den Steinen in der Erde, versuchte, die Reste des Kätzchens zu finden, die mein Vater erbrochen hatte. Die Erde war weich, denn es hatte in der Nacht geregnet, und die richtige Stelle war schwer zu finden, es lagen viele nasse weiche Zweige herum, die aussahen wie die Schwänzchen von vielen kleinen Katzen, ich ordnete sie in einer Reihe und versuchte, sie zu sortieren, doch genau in diesem Moment fing es wieder an zu regnen und ich lief nach Hause, und als ich später wieder hinauswollte, legte mir meine Mutter die Hand auf die Stirn und sagte, ich würde glühen, ich hätte schon den ganzen Morgen seltsam ausgesehen, und sie legte mich ins Bett, das ich im nächsten Moment schon vollgekotzt hatte, und während der ganzen Zeit war mir klar, daß ich keinen neuen Vater bekommen würde, daß jede Änderung nur zu etwas Schlimmerem führte.
    Hatte seine Krankheit vielleicht etwas mit Katzen zu tun, fragte ich Arie, und diese Frage klang in meinen Ohren sehr dumm, vermutlich auch in seinen, denn er packte das Lenkrad mit derselben herrischen Bewegung, mit der er mich immer festhielt, und fragte, was für eine Krankheit, und ich wußte, ich würde nichts mehr aus ihm herausbekommen.
    Worüber konnte ich mit ihm reden? Mir sagte man nach, ich sei charmant, fröhlich, anziehend, und alles, was ich wollte, war schlafen, schade, daß ich nicht bloß eine Tramperin war, die er mitgenommen hatte, dann wäre alles zwischen uns viel einfacher, viel offener und natürlicher gewesen. Vielleicht tun wir, als wäre ich eine Tramperin, schlug ich zögernd vor, und er war begeistert, hielt sogar das Auto an, um mich hinauszulassen und später wieder abzuholen. Wir müssen es wirklich glauben, sagte er, als ich ausstieg, ich sah ihn zurückfahren zu einer Tankstelle. Was macht es ihm aus, an mir vorbeizufahren, ohne anzuhalten,

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