Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
Uhr, ich muß hinein, sonst ist die Sitzung zu Ende, und ich stehe immer noch hier, Chawa wird nicht wortlos darüber hinweggehen.
Vielleicht sollten Sie lieber nach Hause gehen, schlage ich ihr vor, beruhigen Sie sich ein bißchen, denken Sie über alles nach, wir sind immer hier, die Entscheidung liegt bei Ihnen, aber sie hält mich zurück, nein, warten Sie, gehen Sie noch nicht weg, sie hält mich am Kleid fest, genau da, wo die blöde Chrysantheme aufgedruckt ist, ich muß mich heute entscheiden, ich kann es nicht mehr länger hinauszögern, Sie müssen mir helfen, und ich sage, also kommen Sie mit, reden wir drinnen weiter, und sie zögert, ich habe Angst, daß man mich nicht mehr gehen läßt, und die Wahrheit ist, daß auch ich es angenehmer empfinde, hier draußen zu sitzen, auf dem Gehweg, im Schatten, weit weg von Chawas prüfenden Blicken. Das Mädchen setzt sich neben mich, ich bin schon im siebten Monat, Weinen erstickt ihre Stimme, ich glaube einfach nicht, daß mir das passiert ist, mein ganzes Leben ist zerstört.
Wissen Sie, wer der Vater ist, frage ich, und sie schluchzt, natürlich weiß ich das, wir sind schon seit über einem Jahr zusammen, aber er ist verheiratet und hat Kinder, er ist viel älter als ich, ich arbeite bei ihm, in seinem Architekturbüro. Als ich gemerkt habe, daß ich schwanger bin, hätte ich noch abtreiben können, aber ich habe gehofft, er würde seine Familie verlassen und zu mir kommen, er hat mich verrückt gemacht, einmal so und einmal so, an einem Tag hat er mir das Blaue vom Himmel herunter versprochen und schon einen Namen für das Kind ausgesucht, am Tag darauf hat er mich nicht angeschaut, und dann ist es zu spät für eine Abtreibung gewesen, ich habe immer noch geglaubt, daß ich ihn überzeugen könnte, wenn ich Tatsachen schaffe, aber vor ein paar Tagen hat er mir endgültig mitgeteilt, daß er das Kind nicht will und daß er auch mit mir nicht zusammensein möchte, und jetzt weiß ich nicht, was ich tun soll. Meine Eltern sind fromm, sie dürfen es nicht erfahren, das würde sie umbringen, meine Mutter ist sowieso schwer krank, und ich schaffe es kaum mehr, meinen Bauch zu verstecken, ich hasse ihn, ich verstehe nicht, warum er mir so etwas antut, er zerstört mein Leben, indem er mich im Stich läßt, wie kann ich allein ein Kind aufziehen, ich bin gerade mal zweiundzwanzig, ich bin zu jung, um eine alleinerziehende Mutter zu sein, ich habe noch keinen Beruf, erst dieses Jahr habe ich mit meiner Ausbildung angefangen, ich habe kein Geld und ich habe keinen, der mir hilft.
Ich sitze da und höre ihren atemlosen Worten zu und versinke in ihrem Kummer, und da ist es wieder, dieses altbekannte Gefühl, ich stehe da, und mir wird aller Schmerz meiner Mitmenschen auf die Schulter geladen, Säcke voller Verzweiflung und Kränkung, ich kann die fremden Streitereien hören, ich kann die brennenden Nächte sehen, sie steigen in mir auf wie Erinnerungen, und wieder spüre ich die aggressive Hilflosigkeit, die mich in solchen Momenten überfällt, wie werde ich ihr helfen können, ihre Lage ist wirklich schwer, egal, wie man es auch betrachtet, da gibt es nichts zu erklären, und ich schlage mit weicher Stimme vor, man kann die Identität des Vaters nachweisen und Unterhaltszahlung für das Kind verlangen, aber sie schüttelt weinend den Kopf, ich will nichts von ihm, nach allem, was er mir angetan hat, wenn er fähig ist, mich in so einer Situation im Stich zu lassen, will ich weder sein Geld noch sein Kind. Wütend schlägt sie sich mit den Fäusten auf den Bauch, ich umarme sie, lege den Arm um ihre Schulter, mein Blick fällt auf ihre Füße, die Nägel sind rot lackiert, so rot wie die Lippen und so rot wie die Haare, wie schön können Füße sein, denke ich verwundert, ich bin angetan von ihrem gepflegten Äußeren, ihre Situation ist vermutlich nicht so schlimm, wenn sie noch immer so genau auf alle Details ihres Aussehens achtet, und ich sage, versuche, dich jetzt nicht mit negativen Gedanken zu vergiften, das macht dich nur schwach, und du brauchst deine Kraft, du mußt dich auf die Zukunft vorbereiten, welche Entscheidung du auch triffst, es wird schwer sein, aber es ist zu schaffen, wir helfen dir.
Das Problem ist nur, daß jede Entscheidung unmöglich ist, schluchzt sie, ich kann mich mit keiner Entscheidung abfinden, wenn ich das Kind aufziehe, zerstört es mein Leben, meine Familie wird mich verstoßen, kein Mann wird mich wollen mit einem Kind, ich
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