Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
lächelt mich entschuldigend an, früher habe ich mal gewußt, was auf jeder Tonscherbe stand, jetzt mischt sich alles in meinem Kopf, und ich frage, was sind das überhaupt für Tonscherben, und er sagt, die Ostraka von Lachisch, das sind die ersten persönlichen Zeugnisse in hebräischer Sprache, die man in diesem Land gefunden hat, sie stammen etwa aus der Zeit des Propheten Jeremias. Ich versuche, interessiert zu wirken, und frage, und warum sehen sie Aseka nicht? Und willig erklärt er, Aseka war eine befestigte Stadt, nicht weit von Lachisch, auf dem Weg nach Jerusalem, vermutlich war sie schon von den Babyloniern erobert worden, und es war deshalb unmöglich, dort Leuchtfeuer zu entzünden, der Dichter muß also auf die Leuchtfeuer von Lachisch hoffen, und schon fuchtelt er begeistert mit den Armen und malt mir eine Karte in den dünnen Schaum zwischen uns, da ist Lachisch, und da ist Aseka, und da ist die kleine Festung, von der aus die Briefe geschickt wurden, und hier ist Jerusalem, das auch bald zerstört werden wird. Er sitzt in dem lauwarmen Badewasser und doziert so begeistert, als stünde er oben auf dem antiken Hügel, alles, was er seinen Touristen heute morgen vorenthalten hat, erfahre ich jetzt, eine private Führung, um die ich nicht gebeten habe, ich zwinge mich zum Zuhören, obwohl ich nicht die geringste Lust dazu verspüre, es gibt viel wichtigere Dinge, an die ich denken muß, wesentlich dringendere Dinge als jene, die sich vor zweitausendfünfhundert Jahren ereignet haben, aber er bemerkt meine Gleichgültigkeit nicht, hingerissen erzählt er von einem Propheten aus Kiriat-Je’arim, dessen wilde Voraussagen die Hände des Volkes und des Heeres schwächten, in den letzten Monaten des Reiches Juda, und der König und seine Leute wollen ihn töten, und Hoschajahu, der Briefeschreiber, fleht seinen Herrn an, das Unheil zu verhindern. Das Badewasser wird schon kalt, draußen ist es so heiß, aber hier in der Wanne zittere ich vor Kälte, als würde ich krank, und ich frage gleichgültig, und was ist am Schluß mit ihm passiert, mit diesem Propheten, und er sagt, er wollte wohl nach Ägypten fliehen, aber sie haben ihn geschnappt und umgebracht, stell dir vor, sie haben geglaubt, wenn sie ihn vom Erdboden verschwinden lassen, sind seine Prophezeiungen unwirksam, und ich sage, er ist also gestorben, ohne zu erfahren, daß er recht gehabt hat und daß seine schrecklichen Prophezeiungen eingetroffen sind. Udi nickt, ja, erst nach der Zerstörung des Reiches Juda war es möglich, zwischen wahren und lügnerischen Prophezeiungen zu unterscheiden, alle, die Frieden vorausgesagt hatten, hatten sich geirrt, nur dieser Prophet Jermijahu, dem keiner ein Wort geglaubt hat, hat recht behalten.
Warum interessierst du dich so sehr für tote Propheten, beklage ich mich, und er sagt, ich interessiere mich für die Vergangenheit, und die Vergangenheit ist voller Toter, sowohl toter echter Propheten als auch toter falscher Propheten, ihre Knochen mischen sich, erinnerst du dich an die Geschichte des Gottesmannes, der von Juda kam und den der alte Prophet aus Schomron in die Irre schickte?
Meine Zähne schlagen schon aufeinander, aber er merkt es nicht, sein Blut wird von der Vergangenheit erhitzt, nicht von den Brüsten, die vor seinen Augen wie dicke tote Fische im Wasser schwimmen, immer ist er meiner Nacktheit durch die ganze Wohnung gefolgt und hat die Hände nach mir ausgestreckt, immer wenn ich mich wusch, ist er ins Badezimmer gekommen und hat sein Glück versucht, bis ich nervös wurde und klagte, kann man sich in diesem Haus denn nicht ein einziges Mal ausziehen, ohne daß es als Einladung mißverstanden wird? Freu dich doch, daß es so ist, hat er dann gekränkt gesagt, hättest du es denn lieber, daß ich dir gegenüber gleichgültig bin? Insgeheim sagte ich ja, aber jetzt weiß ich schon nicht mehr, was ich lieber hätte, meine Zähne schlagen aufeinander, nein, es sind nicht meine Zähne, jemand klopft an die Wohnungstür, es hört sich so nahe an, fast als klopfte jemand an die Badezimmertür. Ich springe aus der Wanne und ziehe den Bademantel an, mir ist, als sei ein Fremder im Haus und belauere uns heimlich in unserer Nacktheit, da geht auch schon quietschend die Wohnungstür auf, und eine dunkle Gestalt erscheint in der Öffnung, ich habe ganz vergessen, daß ich sie eingeladen habe, auch mein Gedächtnis taugt nichts mehr. Wie schnell sie gekommen ist, denke ich erstaunt, hat sie denn nichts
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