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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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stoßen, ja, kein Zweifel, ich warte auf sie, die ganze Nacht habe ich an sie gedacht, nicht an Udi, der auf dem Wohnzimmersofa weitergeschlafen und mir unser breites Doppelbett überlassen hat. Ich konnte kaum einschlafen in dem fremden Bett, als wäre ich in einer vernachlässigten Junggesellenwohnung gelandet, die ganze Zeit dachte ich nicht einmal an Udi und Noga, wie um sie zu bestrafen, sondern nur an die Frau mit den kurzen roten Haaren, an ihren beschämenden Bauch, an ihre gekränkten Blicke, ihr kompliziertes Leben, und je weiter die Nacht fortschritt, um so klarer wurde mir das Ausmaß ihrer Not, bestimmt konnte sie kein Auge zumachen, bestimmt hämmerte der Satz, er hat mich verlassen, in ihrem Kopf, bestimmt spürte sie den Schlag bis in den Bauch, bestimmt wuchs in ihr der Haß gegen ihn, wie konnte er es wagen, ihr gemeinsames Leben fahren zu lassen und sie der grausamen Welt auszusetzen, hoffentlich kommt sie nicht zu mir zurück, habe ich in der Nacht gedacht, ich kann ihr nicht helfen. Aber jetzt warte ich auf sie, spähe wieder die leere Straße entlang, diesen Fluß aus kochendem Asphalt, an dessen Ufern durstige Autos lagern, was wird sie tun, sie hat doch sonst niemanden, an den sie sich wenden kann, und ich habe sie enttäuscht. Ich habe keine Wahl, ich muß hineingehen, ich tippe unwillig den Code ein, die Mädchen räumen schon das Frühstücksgeschirr ab, der Geruch nach Rührei und Salat mit Zitrone dringt aus ihren Kleidern, im Brotkorb entdecke ich ein letztes Brötchen und schnappe es mir sofort, tauche es in die Salatsoße und die Rühreireste auf einem der noch nicht abgeräumten Teller und stopfe es mir gleich in den Mund, es interessiert mich noch nicht mal, wer diesen Teller benutzt hat, als wären alle hier meine Kinder, und da ist Chani und lächelt mich verlegen an, es ist ihr offenbar noch unangenehmer als mir, mich dabei zu ertappen, daß ich mich wie eine Straßenkatze über die Essensreste hermache. War das dein Teller, frage ich, und sie nickt zögernd, aber mir ist klar, daß sie lügt, um mir einen Gefallen zu tun, ich lächle ihr zu und nehme mit Daumen und Zeigefinger ein Stück kaltes Rührei, um ihr zu zeigen, daß ich hinter meiner Entscheidung stehe, genau wie ich es ihnen immer vorbete, man muß hinter seiner Entscheidung stehen, und mir scheint, als glitzere auf dem Ei die Spucke Ilanas, immer spritzt ihr Spucke aus dem Mund, aber ich muß das Ei jetzt hinunterschlucken, der Magen dreht sich mir schon um, und ich frage sie angestrengt, wie kommst du mit dem Pullover voran? Sie winkt stolz mit der rosafarbenen Wolke, in ein paar Tagen bin ich fertig, vorher darf das Kind nicht kommen, und ich sage, sehr schön, und tätschle ihr zerstreut die Schulter.
    Von weitem dringt Annats Stimme an mein Ohr, sag bloß nicht, du hättest es vergessen, sie kommt auf mich zu, wir fahren heute zur Entbindungsstation, natürlich hatte ich es vergessen, ab und zu bringen wir die Mädchen hin und zeigen ihnen die Kreißsäle und die Neugeborenen, so wie man mit Kindern in den Zoo geht, und sie laufen dort schwerfällig umher und streichen über ihre runden, aufgeblähten Bäuche, als würden sie sich bemühen, einen Zusammenhang zwischen den bereits geborenen Babys und dem Geheimnis in ihrem Inneren herzustellen.
    Wie war es gestern mit Eti, fragt sie, und ihr sauberer, blauer Blick gleitet über mein Gesicht, und ich sage, es ging alles glatt, kein Problem, und ziehe die unterschriebenen Formulare aus meiner Tasche. Bring sie gleich zu Chawa, schlägt sie vor, sie war sauer, daß du gestern nicht noch einmal zurückgekommen bist, und ich eile zu Chawas Büro, halte ihr ergeben die Formulare mit der kostbaren Unterschrift hin, als handelte es sich um die Opfergabe für eine gierige Göttin, ein Menschenopfer, ein kleines Kind. Gab’s Schwierigkeiten, erkundigt sie sich, und ich schüttle den Kopf, nein, es ist ganz leicht gegangen, dann verlasse ich sie sofort wieder, bevor sie mir vom Gesicht ablesen kann, was ich von dieser zweifelhaften Errungenschaft halte. Ich weiß, daß sie mir durch die Gläser ihrer Lesebrille mit düsteren Blicken nachschaut, eine steile Falte zwischen den Augenbrauen.
    Na’ama, unten am Tor wartet jemand auf dich, schreit Annat aus einem der Zimmer, und ich frage, wer ist es denn, und versuche, meine plötzliche Freude zu verbergen, keine Ahnung, antwortet sie, sie haben von unten angerufen und gesagt, du sollst hinunterkommen, aber mach schnell, wir

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