Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
wollen gleich los. Ich stolpere die Treppe hinunter, bestimmt ist es Ja’el, die noch einmal meinen Rat sucht, diesmal muß ich ihr helfen, und plötzlich ist mir klar, was das Richtige für sie ist, ich werde es ihr ganz deutlich sagen, ohne zu zögern, manchmal gibt es im Lärm des Zweifels plötzlich diesen Moment, in dem man erkennt, daß man ein Unglück verhindern muß.
Aber am Tor wartet niemand, ich schaue mich erwartungsvoll um, sie ist nicht zu sehen, nur auf dem Randstein gegenüber sitzt ein Mann in einem zerschlissenen blauen T-Shirt, den Kopf auf die Knie gelegt. Wie heiß es plötzlich geworden ist, die Sonne sticht, ich bekomme kaum die Augen auf, halb blind suche ich sie, Ja’el, ich bin hier, flüstere ich in das Schweigen um mich herum, hab keine Angst, ich werde dir helfen, und dann, als ich ihm näher komme, erkenne ich den Mann, erst die beiden braunen Riemen, die ich gestern noch durch die Luft geschwenkt habe, und dann sein T-Shirt, und ich schreie, Udi, was machst du hier, ich versuche, meine Enttäuschung zu verbergen, das Erschrecken, das in mir aufsteigt, was ist mit deiner Reise in den Negev?
Er hebt sein graues, verschwitztes Gesicht zu mir, alles ist aus, flüstert er, ich habe mich an nichts erinnert, und ich setze mich neben ihn auf den Gehweg, an was hast du dich nicht erinnert, ich verstehe nicht, aber mir ist bereits klar, daß es sich um etwas Schlimmes handelt, noch nie hat er eine Tour einfach abgebrochen. Ich habe sie nach Lachisch geführt, sagt er heiser, die ganze Zeit, während ich krank war, habe ich mich nach dem Tel Lachisch gesehnt, ich wollte der Reisegruppe von der Geschichte des Ortes erzählen, von den Briefen, die man dort gefunden hat, ich kenne sie doch auswendig, und plötzlich hatte ich alles vergessen.
Aber Udi, das passiert doch jedem mal, sage ich, lege den Arm um seine Schulter und versuche, den Geruch zu ignorieren, den sein Körper verströmt, man muß einfach abwarten, bis das Ganze vorbei ist, und er sagt, du glaubst wohl, ich hätte nicht abgewartet, wir haben eine Pause gemacht, und sie haben sich hingesetzt und gegessen, und ich bin allein herumgelaufen und habe versucht, mich zu erinnern, wo ich bin, aber als sie sich dann um mich versammelten, war wieder alles weg, ich hatte keine Ahnung mehr, was ich ihnen sagen sollte. Er senkt den Kopf, nie wieder werde ich eine Tour führen, Na’ama, du hast ja keine Ahnung, wie beschämend das ist, und ich spüre, wie mein Bauch fast platzt vor Anspannung, was wird aus ihm werden, was wird aus uns werden, wovon sollen wir denn leben, doch sofort sage ich mit entschiedener Stimme, das ist nicht der richtige Zeitpunkt für Entscheidungen, Udi, du mußt dich beruhigen, vermutlich bist du zu früh aufgestanden, und er fährt hoch, du weißt ja gar nicht, was das heißt, eine Tour zu versauen, du hast nicht gesehen, wie sie mich angestarrt haben, wie soll das bloß alles weitergehen, No’am, was sollen wir tun?
Schwerfällig stehe ich auf und halte ihm die Hand hin, ich ziehe ihn hinter mir her wie ein widerspenstiges Kind, das nicht in den Kindergarten will, die Reste des Rühreis, das ich heimlich verschlungen habe, brennen in mir, als würden sie in meinen Eingeweiden von der Sonne weitergebraten, schon steigt mir die Übelkeit in der Kehle hoch. Diesmal ist er wirklich am Ende, ich spüre seine weiche Hand in meiner, was wird mit ihm sein, er hat sich doch immer so viel auf sein Gedächtnis eingebildet, mit welchem Stolz hat er immer Jahreszahlen und Ereignisse heruntergerasselt, Namen und Orte, was bleibt ihm jetzt noch, wir werden mit ihm in seiner Bitterkeit versinken, schon sehe ich Noga und mich, wie wir darin zappeln, wir werden darin untergehen und es gibt nichts, an dem wir uns festhalten könnten, und ich versuche mit letzter Kraft, Nogas Hand festzuhalten, Nogi, geh nicht unter, aber ihre Hand ist glitschig und entgleitet mir, ein Finger nach dem anderen rutscht mir aus der Hand. Er zieht seine Hand aus meiner, du tust mir weh, Na’ama, und ich schüttle mich, helfe ihm ins Auto und setze mich schwerfällig auf den Sitz daneben, ich habe keine Kraft, hinaufzugehen und Bescheid zu sagen, Annat wird bald merken, daß ich verschwunden bin und daß sie bei dieser Hitze allein mit den Mädchen losziehen muß, ohne mich, noch ein Arbeitstag, der sich verkürzt hat, erst seiner, jetzt auch meiner, beide stehen wir schon draußen, außerhalb der gesunden Welt. Eingeschlossen in das fahrende Auto,
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