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Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie

Titel: Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeruya Shalev
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habe ich irgend etwas Eigenes besessen, ich verzichte nicht auf sie, und ich flehe, beruhige dich, Chani, ich komme gleich zu dir, und wir sprechen darüber, wir werden eine Lösung finden, Hauptsache, du bist in Ordnung und alles ist gut abgelaufen. Verwirrt betrachte ich Udi, der neben mir steht, ein Mädchen hat einem anderen einen Pullover kaputtgemacht, den dieses andere Mädchen selbst für ihr Baby gestrickt hatte, unbeholfen versuche ich, ihm das Drama zu erklären, diese Ilana, ich habe gewußt, daß man auf sie aufpassen muß. Ich fahre zur Entbindungsklinik, sage ich, aber er stellt sich mir in den Weg, ein angenehmer Geruch geht von ihm aus, geh nicht fort, sagt er, ich muß mit dir reden.
    Mein Herz fängt an zu klopfen, er muß mit mir reden, er hat mir noch was zu sagen, ich habe mich abends hier, vor seiner verschlossenen Tür, schon so überflüssig gefühlt, vielleicht setzen wir uns ja auf den Balkon, wie früher, trinken ein kaltes Bier und rauchen eine Zigarette, und er wird mir über die Schenkel streicheln und eine kühle Hand unter mein Kleid schieben, ich werde seine schöne Stirn küssen, ich habe mich so nach dir gesehnt, Udi, werde ich in seinen Mund flüstern, und die Worte werden seine Zunge süß machen und feucht zu mir zurückkehren, ich auch, ich auch, und trotzdem sage ich, ich muß gehen, ich bin bald wieder da, es dauert keine Stunde, aber er läßt nicht locker, ich gehe gleich weg, sagt er, wir können miteinander sprechen, wenn du zurückkommst, sage ich, und er antwortet ruhig, aber ich komme nicht zurück.
    Warum, frage ich erstaunt, ist etwa ein Krieg ausgebrochen, aus dem man nicht mehr heimkehrt? Ich betrachte ihn wie ein Mädchen den Vater, der mitten in der Nacht einberufen wird, und er sagt, Na’ama, ich gehe weg, und ich betrachte ihn, ich verstehe immer noch nicht, was soll das heißen, du gehst weg, und er sagt, ich verlasse die Wohnung, ich verlasse dich, ich kann so nicht weitermachen, und ich fange vermutlich an zu zittern, denn er packt mich an den Schultern und sagt, beruhige dich, Na’ama, es wird auch für dich besser sein, du wirst schon sehen, so ist es für uns beide doch nur eine Qual, und ich stottere, aber warum, ist es wegen des Salats, wegen des Abendessens? Das ist nicht wichtig, hören wir eben auf, zu Abend zu essen. Es ist nicht deswegen, sagt er, ich sinke auf einen Sessel, er zieht sich einen Klappstuhl heran und setzt sich mir gegenüber, einen Moment lang sieht es aus, als würde auch er zittern, aber nein, er sieht kaltblütig aus, blaß, aber entschlossen, noch nie habe ich diesen Ausdruck auf seinem Gesicht gesehen, seit über zwanzig Jahren kenne ich ihn, und da zeigt er mir ein Gesicht, das ich noch nicht kenne, zart und trotzdem böse, das Gesicht eines besonders grausamen Verbrechers, sein Unterkiefer bewegt sich knirschend, während er spricht, was sagt er, ich verstehe ihn kaum, er hat sich alles genau zurechtgelegt, vermutlich hat er schon lange geübt, im abgeschlossenen Zimmer vor dem Spiegel, aber ich habe mich verheddert in all den Wollfäden, die von dem grausam aufgetrennten Pullover übriggeblieben sind, sie streicheln meinen Hals, wie hat sie ihr das antun können, wochenlang hat Chani daran gearbeitet, die Ärmste, und jetzt ist alles aus, das ist nicht wiedergutzumachen, und er schreit, hörst du mir überhaupt zu, Na’ama, und ich versuche, ihn anzuschauen, aber mein Kopf kippt, als wäre das Genick gebrochen, sinkt nach unten, nur seine Knie sehe ich, wie große runde Nüsse sehen sie aus und stehen dicht nebeneinander. Was spielt es für eine Rolle, ob ich zuhöre, soll er seine Rede doch vor jemand anderem halten, soll er durch die leeren Straßen laufen und den Bäumen und Steinen predigen, und er sagt, hör zu, Na’ama, ich muß etwas ändern, er hebt mir mit einer zarten Bewegung das Kinn, mein Kopf ist voller Stahlnägel, wie schafft er es mit seinen schmalen Händen, ihn zu heben, ich weiß, daß diese Krankheit ein Zeichen ist, sagt er, ich habe eine Warnung empfangen, eine Warnung mit einer tieferen Bedeutung, ich habe lange gebraucht, sie zu verstehen, aber jetzt habe ich keinen Zweifel mehr, ich muß mein Leben ändern.
    Aber woher weißt du, was du ändern sollst, flüstere ich, jedenfalls habe ich das Gefühl zu flüstern, aber er sagt, schrei nicht, und läßt mein Kinn los, das sofort wieder nach unten sinkt, und ich murmele seinen weißen Knien zu, warum ausgerechnet diese Veränderung, vielleicht

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