Liebesleben/Mann und Frau/Späte Familie
gegeben, ihn gesund zu bekommen, es wäre doch besser, wenn er krank geblieben wäre, und als ich an den Sonnenaufgang denke, der nicht zu verhindern ist, wird mir schwindlig, Noga wird am Morgen aufwachen, was soll ich ihr sagen, wie werde ich ihr gegenüberstehen, ich muß seinen Brief finden und ihn vor ihr verstecken, bis ich mich wieder gefangen habe. Ich habe mich so lange über das Geländer gebeugt, daß es mir schwerfällt, aufrecht zu gehen, wie ein Vorzeitmensch in seiner Höhle schleppe ich mich in ihr Zimmer, trete auf die Kleider und Hefte, die unordentlich auf dem Teppich herumliegen, wo ist dieser verdammte Brief? Ich höre, wie sie im Schlaf seufzt, sich umdreht und mir das Gesicht zuwendet, ein ruhiges, schönes Gesicht, die Augen geschlossen, die Lippen zu einem geheimnisvollen Lächeln verzogen, das Gesicht der Unschuld. Sie weiß noch nicht, daß ihr Leben morgen früh zerbrechen wird, und diese Gewißheit, daß ich die ganze Wahrheit, die ihr Leben bedroht, kenne, sie aber nicht, erschüttert mich so sehr, daß ich das Gefühl habe, über ihr zu schweben wie Gott über den Sterblichen, nicht nur wissend, sondern auch schuldig, denn ich hätte es verhindern können und habe es nicht getan, mit zitternden Fingern taste ich über ihren Tisch, so viele Papiere, wo ist der verfluchte Brief, ich muß ihn verstecken, ich will, daß sie am Morgen aufsteht und zur Schule geht, so wie immer, ich kann es mindestens eine Woche in die Länge ziehen, ohne daß sie etwas merkt, und vielleicht bereut er es ja in der Zwischenzeit, aber es ist so dunkel, daß man kaum etwas sieht, ich gehe in die Küche und suche eine Taschenlampe, oder eine Kerze, aber heute ist es mein Schicksal, nichts zu finden, nur eine Schachtel Streichhölzer, ein Streichholz nach dem anderen flackert in meinen Händen auf und fällt schwarz und gewichtslos auf den Teppich, gleich werde ich das ganze Zimmer in Brand stecken, damit keine Erinnerung zurückbleibt. Nein, der Brief liegt nicht auf dem Tisch, vielleicht auf dem Teppich, zwischen den Kleidungsstücken, hat er sich die Mühe gemacht, ihn in einen Umschlag zu stecken, oder handelt es sich nur um irgendein Blatt Papier, ich krieche über den Teppich, taste in der Dunkelheit, und plötzlich setzt sie sich im Bett auf, was ist los, Mama, und ich richte mich auf, nichts, Nogi, schlaf. Was machst du hier, fragt sie, und ich sage, ich bin nur gekommen, um dich zuzudecken, und sie legt sich wieder hin, es riecht nach Feuer, sagt sie leise, ich habe geträumt, daß unser Haus abbrennt, und ich sammle meine Streichhölzer auf und murmele, schlaf nur, schlaf.
Mir bleibt keine Wahl, als auf das erste Licht zu warten, mit dem Morgengrauen werde ich wieder in ihr Zimmer gehen und den Brief sofort finden, beruhige ich mich, als würde sich damit das ganze Unheil in Nichts auflösen, ich gehe zum Bett, lege mich zwischen seine zurückgelassenen Kleidungsstücke, gekrümmt, zitternd, als hätte man mir die Haut vom Körper geschält, ich brenne vor Kälte, ein verkohltes Streichholz zerbröselt unter meinem Bein, ich taste um mich, suche seine langen Gliedmaßen, seine Haare, die im Luftzug des Ventilators flattern, all die Tage hat er hier gelegen, mit dem Kopf auf diesem Kissen, und insgeheim böse Pläne geschmiedet. Erschöpft vor Haß, schlage ich auf die Matratze ein, Udi, wie konntest du mir das antun, dich zu hassen heißt, mein eigenes Leben zu hassen, Noga zu hassen, mich selbst zu hassen, wir sind doch alle unlösbar miteinander verbunden, und du erklärst uns für tot und verstreust die Leichen unseres Lebens wie abgerissene Körperteile nach einem Verkehrsunfall, so daß man nicht mehr wissen kann, welcher Teil zu wem gehört, das ist es, was du mir hinterlassen hast, hier, in deinem Krankenbett, wütend zerre ich an dem Kissen, schlage meine vor Kälte klappernden Zähne hinein, rieche den Geruch seiner Wangen und seiner Haare, den Geruch der Spucke, die ihm im Schlaf aus dem Mund gelaufen ist, und plötzlich sehe ich Ge’ulas kleinen Daniel vor mir, wie wir ihn ihr damals weggenommen und zum Kinderheim gebracht haben, er hat uns angefleht, ihm jeden Morgen das Kissen zu bringen, auf dem seine Mutter geschlafen hat, und dann schmiegte er sich an den Stoff wie ein Kätzchen, lutschte daran, als saugte er Milch, und plötzlich überfällt mich Hunger, ein mörderischer Hunger, ich springe aus dem Bett und renne zur Küche, mache die Kühlschranktür auf. Da sind die Tomaten, die
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